Vielleicht fragen Sie sich: Warum ist Perfektionismus schlecht? Immerhin brauchen wir Leistung und Ordnung, um im Leben weiter zu kommen!
Das ist an und für sich richtig. Es gibt auch gesunden Perfektionismus, der in der Tat sehr produktiv sein kann. Wie Sie diese beiden Arten auseinanderhalten können, verrate ich Ihnen weiter unten im Text.
Beim ungesunden Perfektionismus wird die Leistung, die man erbringen möchte, jedoch schädlich. Wer immer mehr Überstunden macht, um immer komplett fehlerfrei zu arbeiten, der wird irgendwann zusammenbrechen.
Wird des Weiteren im Artikel nur über “Perfektionismus” gesprochen, so ist die ungesunde Variante gemeint.
So kommt ungesunder Perfektionismus zustande
Wie bei jeder psychischen Erkrankung hat auch der Perfektionismus mehrere Ursachen.
Wie so häufig ist es oft die Kindheit, die eine große Rolle spielt und eine der Ursachen beinhalten kann. Oft rutschen Erwachsene, die als Kinder für Fehler unnötig hart bestraft wurden, in den Perfektionismus. Vor allem geht es hier um Bestrafungen durch Liebesentzug.
Diese Menschen wurden zu Hause nur anerkannt oder geliebt, wenn sie immer alles perfekt erledigt haben. Haben sie einen Fehler gemacht, war aber ihr Selbstwert praktisch nicht mehr vorhanden. Denn zur Beschämung über den Fehler kam dann natürlich auch noch die Strafe der Eltern hinzu. Sie schrieben sich daher als “unnötig” und “nicht liebenswert” ab, weil sie die unrealistischen Ziele nicht erreichten. Es ist daher wohl wenig verwunderlich, dass dies der Anfang vom Ende ist.
Menschen, die diese Ursache mit sich herumtragen, kommen aus diesem Rad natürlich nicht heraus. Auch im Erwachsenenleben geht der Teufelskreis weiter: Die Betroffenen schaffen nicht ihre “gewohnten” 120% → der Selbstwert wird schwach, weil die Ziele nicht erreicht werden → sie strengen sich noch mehr an → sie machen Fehler → der Selbstwert wird wieder schwach usw.
Perfektionismus zeigt sich also vor allem bei unsicheren Persönlichkeiten. Diese wollen sich Liebe durch Leistung erkaufen. In ihrem Weltbild ist es so, dass sie nur anerkannt und geliebt werden, wenn sie immer 120% schaffen und immer perfekt sind. Dass das einerseits nicht notwendig ist und andererseits unrealistisch, kommt diesen Menschen nicht in den Kopf. Denn nur so funktioniert Liebe für sie.
Nicht selten sind Perfektionisten auch Narzissten, die durch die übermäßige Hochleistung ihr schwaches Selbstwertgefühl decken möchten. Das tun sie, indem sie auf andere dann herabblicken können, weil nur sie es ja am besten können und alle anderen schlecht sind.
Welcher Fall auch zutrifft – Perfektionismus dieser Art wird früher oder später schädlich.
Die Typen des Perfektionismus
Wie schon erwähnt, gibt es zwei Typen des Perfektionismus.
Der ungesunde Perfektionismus-Typ möchte immer 120% geben. Ihm ist dabei egal, wie es ihm körperlich und geistig geht. Er arbeitet, wenn nötig, auch bis zur Erschöpfung und darüber hinaus. Seine Ziele sind unrealistisch und er fühlt sich nur gut, wenn seine Leistung ständig überdurchschnittlich gut ist.
Der gesunde Perfektionismus-Typ hat zwar auch hohe Ziele und arbeitet auch hart, um diese zu erreichen. Er weiß aber auch, was realistisch ist und was nicht. Auch Pausen werden sinnvoll eingerechnet. Der gesunde Perfektionist strebt danach, sein bestes zu geben und ist ordentlich.
Test: Dieser Perfektionismus-Typ sind Sie
Mit diesem Test können Sie schnell herausfinden, zu welchem Typ Sie gehören. Je mehr Punkte von einer (oder beiden) Persönlichkeit auf Sie zutreffen, umso wahrscheinlicher ist es, dass Sie diesem Typ angehören.
Folgende Dinge zeichnen einen ungesunden Perfektionisten aus:
- Sie glauben, dass man Sie nicht mag, wenn Sie Fehler machen.
- Fehler zu machen ist Ihnen sehr peinlich. Sie würden gerne im Boden versinken oder werden wütend, wenn man Sie auf einen Fehler hinweist.
- Sie hatten und haben immer noch das Gefühl, dass Sie es Ihren Eltern niemals Recht machen können, egal, wie hart Sie arbeiten.
- Sie vergleichen sich und ihre Arbeit ständig mit anderen und fühlen sich inadäquat oder schlecht.
- Sie haben kein Vertrauen in Ihre Arbeit und zweifeln ständig daran, ob Sie alles richtig gemacht haben oder werden.
- Sie fühlen sich dazu gezwungen, immer alles richtig machen zu müssen.
Diese Dinge zeichnen einen gesunden Perfektionisten aus:
- Sie sind immer diszipliniert, organisiert und Sauberkeit ist Ihnen sehr wichtig. Das heißt jedoch nicht, dass immer jede Ritze ihrer Wohnung perfekt geputzt sein muss.
- Sie können Fehler zugeben und begrüßen Feedback, das sie darauf hinweist. So lernen Sie besser.
- Sie setzen sich höhere Ziele als andere. Diese Ziele sind aber mit einem gesunden Ausmaß an Arbeit erreichbar.
- Sie merken, dass Sie andere Ziele und Standards als andere haben.
- Sie bringen (nicht zwingen!) und motivieren sich dazu, diese Ziele zu erreichen.
- Sie überlegen genau vor einer Entscheidung.
- Sie arbeiten konzentriert und konsequent auf das Erreichen ihrer Ziele hin.
Sollte der Test so ausfallen, dass viele Punkte des ungesunden Perfektionisten bei Ihnen zutreffen, dann haben Sie keine Angst! Der Weg aus dem Perfektionismus ist zwar nicht leicht, aber schaffbar!
Besonders wichtig ist es, dass Sie Selbstmitgefühl entwickeln und lernen, sich anzunehmen, auch wenn Sie Perfektionist sind. Mehr Infos dazu finden Sie in meinem Video “Sich als Perfektionist annehmen”.
Die Folgen des Perfektionismus
Auch wenn gesunder Perfektionismus eine Chance sein kann, so kann ungesunder Perfektionismus den Körper und die Psyche maßgeblich schädigen.
Wollen Sie immer 120% schaffen, werden Psyche und Körper irgendwann nicht mehr mitmachen. Der Körper äußert die Probleme oft durch Kopfschmerzen, Erschöpfung und Schlafprobleme.
Die Psyche macht mitunter sogar noch mehr Probleme. Durch den ständigen Teufelskreis “Überleistung → Fehler → geringes Selbstwertgefühl → Überleistung usw.” kann der Geist irgendwann nicht mehr mithalten. In schweren Fällen sind eine Erschöpfungsdepression, Burnout und am Schluss eine schwere Depression mit Suizidproblematik keine Seltenheit.
Bedenken Sie auch, dass Sie nicht nur sich selbst damit schaden. Durch ständige Arbeit und Unzufriedenheit belasten Sie auch ihre Beziehungen. Sind Sie ein Vorgesetzter, werden Ihre Mitarbeiter irgendwann nicht mehr motiviert sein, wenn Sie sie nur kritisieren. Ihre Familie wird nicht froh sein, wenn Sie nur noch in der Arbeit sind.
Lassen Sie den Perfektionismus nicht Ihr Leben regieren! Fangen Sie jetzt neu an!
Perfektionismus ablegen: Das Pareto-Prinzip
Das Pareto-Prinzip ist ein gutes Modell, um sich Verhältnismäßigkeit vor Augen zu halten. Die fehlt nämlich beim Perfektionismus immer.
Das Pareto-Prinzip besagt, dass, um 80% einer geübten Leistung zu vollbringen, nur 20% Energie notwendig sind. Mit “geübt” ist hiermit eine Aufgabe gemeint, für die Sie ausgebildet wurden oder die Sie schon oft gemacht haben (Routine). Weiters besagt das Prinzip, dass, um die restlichen 20%, die für 100% notwendig sind, zu vollbringen, die restlichen 80% Energie notwendig sind.
Das heißt also: Für 80% brauchen Sie nur 20% Energie. Für 100% brauchen Sie aber 100% Energie!
Das veranschaulicht gut, warum Perfektionismus nicht auf Dauer funktioniert. Sie können nicht immer 100% oder gar 120% geben. Das funktioniert vielleicht bei einer speziellen Sache, wie z.B. bei einem Hobby, aber nicht überall. Daher ist es gesund, den Perfektionismus ablegen zu wollen.
Wenn Sie also merken, dass sie wieder gar 120% geben möchten, dann denken Sie daran, wie viel einfacher es ist, “nur” mit 80% auszukommen.
“Gönnen” Sie sich also, “nur” 80% zu leisten! Nehmen Sie Ihre Unvollkommenheit an – niemand ist perfekt. Denken Sie daran, dass es einfacher ist, das Problem “Perfektionismus” anzupacken, wenn Sie es nicht zu 100% ausmerzen wollen, sondern verstehen und annehmen lernen. Es ist wichtig, seine Fehler anzunehmen, um sich entspannen zu können.
Kommen Sie sich nicht schlecht oder blöd vor, wenn Sie “nur” 80% machen. Das ist in den meisten Fällen genug. Diese Akzeptanz zu erreichen, ist das Ziel.
Perfektionismus ablegen: 3 einfache Schritte
Es gibt zwar kein Handbuch, wie man den Perfektionismus ablegen kann – immerhin ist jeder Mensch anders – aber es gibt ein paar Schritte, die sie selbst setzen können, um sich zu helfen.
Wichtig ist, dass Sie sich nicht dabei überfordern. Machen Sie kleine Schritte, kleine Verbesserungen. Lassen Sie sich Zeit.
Sie sollten immer dort anfangen, Ihren Perfektionismus zu zügeln, wo es nicht unheimlich wichtig ist. Daher möchte ich Ihnen die Schritte anhand des Rasenmähens erklären, einer nicht übermäßig wichtigen Tätigkeit.
Schritt 1:
Wenn Sie den Rasen mähen, würden Sie für gewöhnlich sicherstellen, dass jede Ritze des Gartens perfekt abgemäht ist. Das wird Sie viel Zeit und Aufwand kosten.
Fragen Sie sich nun, wie das bei 80% aussehen würde. Würde es jemanden stören, wenn die Ecken und z.B. um einen Baum das Gras noch höher steht? Wo macht es Sinn, genau zu sein? Wo nicht?
Schritt 2:
Nehmen wir an, Sie haben nur 80% des Rasens gemäht. Jemand weist sie auf die nicht perfekten Stellen hin. Nun ist es wichtig, dass sie sich nicht schlecht fühlen oder ärgern. Sollte es die Person wirklich sehr stören, so können Sie ja immerhin noch nacharbeiten, die Welt ist nicht untergegangen.
Fragen Sie allerdings nun auch: Sind die restlichen 20% wirklich dieses Mal notwendig? Reicht es nicht beim nächsten Mal? Mitunter ist es sogar gut, das Gras teilweise höher stehen zu lassen, damit es aussamen kann. Überlegen Sie immer, ob Imperfektion nicht auch hilfreich ist.
Schritt 3:
Akzeptieren und stehen Sie dazu, wenn Sie etwas nicht perfekt gemacht war. Denn es ist nicht möglich, immer alles perfekt zu machen. Muss etwas nachgemacht werden, so tun Sie das ohne Selbststrafe. Man wird Sie nicht aufhören, zu mögen, nur weil Sie Fehler gemacht haben. Im Gegenteil: Vielleicht finden Leute, die Sie nur als Perfektionisten kennen, es sogar sympathisch, Sie einmal “menschlich” und “so wie andere” zu erleben?
Wichtig ist, dass Sie lernen, loszulassen und locker zu lassen. Seien Sie mit sich und Ihrer Leistung zufrieden und erinnern Sie sich immer daran, dass Sie am besten Leistung mit Freude geben. Denn Perfektionismus macht keinen Spaß.
In meinem Video “Perfektionismus loswerden – die Perfektionismusfalle” auf meinem YouTube-Kanal erzähle ich Ihnen noch mehr über das Thema!
Fazit
Ungesunder Perfektionismus bringt keine Vorteile, sondern zerstört die Menschen, die darunter leiden. Ständig wird nach mehr gestrebt, für Fehler bestraft man sich selbst am härtesten. Irgendwann ist ein Zusammenbruch unvermeidbar.
Wege aus dem Perfektionismus sind Selbstmitgefühl und das schrittweise Reduzieren des verkrampften Leistungsdenkens. Der Weg ist schwierig, kann aber mit Übung gemeistert werden.
Natürlich müssen Sie diesen Weg nicht alleine beschreiten. Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen ist durchaus sinnvoll. Haben Sie keine Scheu und suchen Sie Hilfe, wenn Sie nicht zurecht kommen!