Selbstmitgefühl ist ein Begriff, den es schon lange gibt. Seit 2015 wurde er von Kristin Neff stark geprägt und aufmerksam darauf gemacht. Es gibt zahlreiche Trainingsprogramme und Workshops zu diesem Thema. Die englische Version wird als “Mindful Self-Compassion” (kurz: MSC) bezeichnet. Übersetzt heißt das circa “Aufmerksames Selbst-Mitgefühl”.
Was aber ist nun Selbstmitgefühl? Was “bringt” es Ihnen? Und wie können Sie es entwickeln? All diesen Fragen widmen wir uns in diesem Artikel.
Was ist Selbstmitgefühl?
Selbstmitgefühl und Mitgefühl sind vergleichbar. Der Unterschied besteht darin, wem Sie das Mitgefühl entgegen bringen. Beim Mitgefühl sind es andere und deren Fehler, mit denen Sie Verständnis haben. Beim Selbstmitgefühl sind es Sie selbst.
Das heißt also, dass wenn Sie es nicht leicht haben, dass Sie Verständnis und Güte für sich selbst aufbringen. Sie strafen sich nicht selbst für Ihre Fehler. Sie verurteilen sich nicht für Ihre Schwäche, sondern Sie gehen mit sich so um, wie Sie mit einem guten Freund umgehen würden. Sie stärken sich den Rücken. Sie sagen sich, dass das schon wieder wird. Sie haben eben Mitgefühl für sich selbst – Selbstmitgefühl!
Das hat nichts mit Eitelkeit oder Arroganz zu tun. Eitelkeit beschreibt Menschen, die lediglich ihr Äußeres pflegen. Arroganz lässt Menschen sich als unfehlbar sehen. Mit Selbstmitgefühl pflegt man Körper und Seele und man ignoriert seine Fehler nicht, sondern akzeptiert sie. Man lernt, durch Nachsicht und Geduld aus Fehler zu lernen, nicht mit Kritik und Strafe.
Ist Selbstmitgefühl gleich Selbstmitleid?
Nein, auf keinen Fall.
Selbstmitleid bedeutet, dass Sie sich in den eigenen Problemen und Fehlern verlieren. Mit Selbstmitleid denken Sie nur an sich selbst, andere sind Ihnen egal. Sie fühlen sich durch Selbstmitleid noch einsamer und es geht Ihnen dadurch meistens noch schlechter.
Selbstmitleid hilft Ihnen nicht dabei, Abstand von der Situation zu nehmen und sie sinnvoll zu betrachten. Die Überwindung von Selbstmitleid ist sehr wichtig für unsere Psyche:
Wie erkenne ich Selbstablehnung?
Die meisten Menschen kennen sie, die innere Stimme, die immer kritisiert. Die ihnen immer sagt, sie sind nicht gut genug, sie können das nicht, keiner mag sie. Das ist Selbstablehnung.
So gut wie immer wird diese Stimme in der Kindheit geboren. Sie haben von Ihren Eltern vermutlich häufig gehört, dass mit Ihnen etwas nicht in Ordnung ist. Sätze (oder ähnliche) wie “Du bist faul.”, “Es gibt immer nur Probleme mit dir.”, “Was stellst du dich denn so an?” haben Sie vermutlich oft gehört.
Diese Aussagen pflegen die innere Selbstkritik und Selbstablehnung.
Da Kinder sehr formbar sind und schnell geprägt werden, sind solche Aussagen verheerend. Die Kinder verinnerlichen diese Sätze und glauben, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist. Und dass es richtig ist, dafür bestraft zu werden.
Durch diese Akzeptanz wird die Selbstablehnung als richtig angesehen. Der Erwachsene übernimmt die Bestrafung dann selbst – eben in Form der Selbstablehnung. Diese Behandlung von sich selbst wird nicht infrage gestellt. Dass diese Negativität von den Eltern kommt, wird nicht erkannt.
Dennoch: Verstehen Sie, dass diese vernichtende und allgemeine Kritik nicht richtig ist. Sie ist nicht gerechtfertigt. Ihnen wurde als Kind keine Zeit gegeben und keine Geduld entgegen gebracht, um sich in der Welt zurecht zu finden. Kinder wissen nicht, wie die Erwachsenenwelt funktioniert. Sie müssen erst lernen, was auf sie zukommt. Sie müssen Kinder sein dürfen.
So kommt der Glaube zustande, dass Sie es nicht wert sind, geliebt zu sein. Dass es ohne Bestrafung keine Entwicklung gibt. Dass Sie diesem “schlechten Menschen”, von dem Sie glauben, dass er in Ihnen schlummert, ständig durch Schmerz Einhalt gebieten müssen.
Selbstablehnung bringt nichts
Doch was bringt diese Selbstablehnung und -bestrafung? Sind Sie dadurch perfekt geworden? Machen Sie dadurch keine Fehler?
Natürlich nicht. Sie machen immer noch Fehler und jagen vermutlich einem Idealbild hinterher.
Keine Angst, Sie sind nicht alleine! Das passiert sehr vielen Menschen. Viele Menschen glauben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt und dass sie keiner mag.
Viele Menschen laufen einem unerreichbaren Ideal hinterher oder geben auf und sind nur noch deprimiert. Ihnen ist nicht klar, was falsch mit ihnen ist, sie wissen nur, dass es so ist – weil es ihnen eingetrichtert wurde.
Also: Selbstbestrafung und -verachtung machen Sie nicht zu einem besseren Menschen!
Wie entwickle ich Selbstmitgefühl?
Eines vorweg: Selbstmitgefühl zu entwickeln ist nicht leicht und braucht viel Zeit. Geben Sie sich diese Zeit, kein Meister ist vom Himmel gefallen. Die folgenden Schritte können Ihnen dabei helfen.
1. Erster Schritt: Die innere, kritische Stimme erkennen und lernen, nicht nach ihr zu leben. Versuchen Sie zu erkennen, dass diese ständige Selbstkritik für Sie keinen Zweck hat. Dass diese Kritik Sie nicht weitergebracht hat. Unsere eigenen Normen sind wichtig, nicht die unserer Eltern.
2. Zweiter Schritt: Was beinhaltet die Selbstkritik? Stellen Sie sie infrage! Wenn Sie hören: “Du kannst nichts richtig machen.” dann fragen Sie sich: Stimmt das wirklich? Nein, denn niemand macht alles immer falsch. Sagen Sie sich, dass Sie manchmal Fehler machen, aber das ist normal. Jeder macht manchmal Fehler. Es gibt keinen Grund, sich für seine Fehler zu schämen und zu verurteilen. Irren ist menschlich.
3. Dritter Schritt: Überlegen Sie sich: Würden Sie so, wie Sie mit sich selbst reden, mit einem guten Freund oder einem ihrer Liebsten reden? Würden Sie derart harte Kritik üben? Allerhöchster Wahrscheinlichkeit nach nicht. Sie würden ihm/ihr die Fehler nachsehen oder ihn/sie ermutigen, wenn er/sie niedergeschlagen ist. Sie würden ihm/ihr erklären, was er/sie gut kann, wenn er/sie sagt, dass er/sie nichts richtig machen kann. Denken Sie von sich selbst als wären Sie Ihr bester Freund. Seien Sie nett zu sich selbst!
Achtung: Die innere Stimme der Selbstverachtung wird sich zu Wort melden, wenn Sie nett zu sich sind. Sie wird Ihnen sagen, dass Sie so verweichlichen und sich nicht weiterentwickeln werden. Dass Sie so niemals gut genug für irgendwen werden. Dass Sie so keiner lieben wird. Glauben Sie das alles nicht!
Werde ich mich so weiterentwickeln?
Sie glauben, ohne Bestrafung können Sie sich nicht weiterentwickeln? Ganz im Gegenteil!
Auch wenn Sie Ihre Fehler akzeptieren und sich vergeben, können Sie dennoch aus ihnen lernen – sofern Sie das wollen.
Betrachten Sie immer genau wer den Fehler kritisiert. Die Werte Ihrer Eltern oder Sie selbst.
Im ersten Fall erinnern Sie sich daran, dass Sie die Entscheidungen in Ihrem Leben treffen, was richtig und falsch ist. Akzeptieren und vergeben Sie sich Ihren Fehler. Nehmen Sie sich vor, sich nicht für den Fehler in Zukunft zu verurteilen.
In letzten Fall akzeptieren Sie den Fehler dennoch, aber denken Sie darüber nach, was Sie in Zukunft besser machen können.
Ohne Akzeptanz geht Weiterentwicklung nämlich nicht. Wenn Sie sich nur für Ihre Fehler bestrafen, laufen Sie vor Ihnen davon. Dann werden Sie sich nicht mit Ihnen beschäftigen. Daher wird keine Weiterentwicklung passieren.
Übungen zum Selbstmitgefühl
Selbstmitgefühl und Selbstliebe zu entwickeln ist ein schwieriger Prozess, der viel Übung braucht. Lassen Sie nicht locker, aber seien Sie auch geduldig mit sich selbst!
Hier ein paar einfache Übungen:
Schauen Sie in den Spiegel und sagen Sie sich selbst: “Ich liebe/mag dich!”
Beobachten Sie, wie Sie sich dabei fühlen. Geht es Ihnen gut oder schlecht? Macht es Sie glücklich? Schämen Sie sich? Wird Ihnen schlecht? Können Sie das zu sich selbst sagen?
Dieser einfache Test hilft Ihnen, herauszufinden, wie Sie sich fühlen. Geht es Ihnen gut dabei, dann haben Sie Mitgefühl und Liebe für sich selbst. Wenn nicht, dann ist es wichtig, dass Sie daran arbeiten.
Sagen Sie sich täglich (auch vor dem Spiegel):
- “Fehler machen ist normal und menschlich.” Lächeln Sie sich dabei an.
- “Toll, dass du da bist!”
- Wenn Sie vor einer schweren Aufgabe stehen: “Du schaffst das!”
- Wenn Sie etwas gut gemacht haben: “Das hast du gut gemacht!”
- Wenn Sie schwierige Zeiten durchwandern: “Das kriegst du schon hin! Du wirst eine Lösung finden!”
Hören Sie damit nicht auf! Es ist vor allem am Anfang des Weges wichtig, sich täglich daran zu erinnern, sich selbst zu lieben. Die innere Kritik-Stimme wird heftig versuchen, diesen Weg zu unterdrücken.
Irgendwann werden diese Übungen zur Normalität werden und Sie werden nicht mehr aktiv daran denken müssen. Nehmen Sie sich Zeit dafür! Lassen Sie sich Zeit dafür! Es kann Monate oder Jahre dauern, bis sich diese Dinge normal anfühlen.
Was bringt mir Selbstmitgefühl?
Selbstmitgefühl zu haben hat einige Vorteile.
Dadurch, dass Sie sich selbst mögen und keine Versicherung von außen brauchen, gibt es eine Reihe an Dingen, die Ihnen dadurch leichter fallen. Sie können sich Ihre Fehler leichter verzeihen, da Sie davon überzeugt sind, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist. Kritik und Ablehnung von anderen zerstört Sie nicht komplett am Boden und Sie können damit besser umgehen. Auch fühlen Sie sich nicht ständig unter Druck, alles an Ihnen zu verbessern.
Auch hat Selbstmitgefühl gute Wirkungen auf Ihre Beziehungen.
Sie können sich für andere freuen, ohne neidisch sein zu müssen. Denn Sie wissen, dass Sie andere nicht beneiden müssen. Sie sind gut so, wie Sie sind.
Wenn Sie wissen, wie Sie sich selbst verzeihen, wissen Sie auch, wie das bei anderen geht. Sie können Fehler leichter verzeihen und sind nachsichtiger mit anderen. Das tut Ihnen ebenfalls gut, denn damit regen Sie sich weniger über andere auf.
Das sind nur ein paar Vorteile, die Selbstmitgefühl für Sie hat. Natürlich wird es Ihnen generell besser gehen und Sie werden entspannter sein, wenn Sie sich selbst lieben und akzeptieren.
Keine Angst vor Hilfe
Sollte es Ihnen trotz aller Bemühungen nicht möglich sein, sich selbst mehr zu akzeptieren, so ist es keine Schande, Hilfe zu suchen. Denn schließlich brauchen wir manchmal in unserem Leben Hilfe, um mit etwas fertig zu werden.
Es ist also vollkommen normal, wenn Sie empfinden, dass Sie professionelle Hilfe für Ihr Problem mit sich selbst brauchen. Haben Sie keine Angst davor, Hilfe in Anspruch zu nehmen!
Fazit
Selbstmitgefühl ist nicht nur für Sie selbst gut, sondern auch für andere. Es beschreibt, sich selbst wie einen guten Freund zu behandeln und von Selbstablehnung Abstand zu nehmen. Selbstmitgefühl zu entwickeln ist nicht leicht und braucht viel Zeit und Geduld. Tägliche Übung ist wichtig dafür.
Lassen Sie nicht locker, denn wie bei allem im Leben, macht nur Übung den Meister!