Negative Gefühle wie Traurigkeit und Ekel, besonders aber Wut und Ärger gelten als sozial unverträglich und werden deshalb nicht gerne gesehen. Jemand der laut wird, seine Wut zeigt, hat sich nicht im Griff, so meinen wir. Und doch kennt diese Gefühle jeder. Wir versuchen dann meist, sie zu verbergen, indem wir sie unterdrücken – ein Fehler.
Wie wir konstruktiv mit Emotionen der Wut und Ärger umgehen können, möchte ich in diesem Artikel näher erläutern. Dafür werde ich zunächst darauf eingehen, was Wut genau ist, wann und aus welchem Grund wir diese Emotion spüren und warum es nicht hilft diese zu unterdrücken. Zum Schluss finden Sie ein paar Tipps, wie Sie stattdessen konstruktiv mit Wut und Ärger umgehen können. Ein Kapitel ist zudem Wutanfällen in der sogenannten Trotzphase der kindlichen Entwicklung gewidmet.
Was ist Wut? Abgrenzung zu Ärger, Zorn und Hass
Wut gehört gemeinsam mit Freude, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung zu den sieben Basisemotionen, die jeder Mensch unabhängig von seiner kulturellen Prägung empfindet und auf ähnliche Art und Weise zeigt. Wut wird ausgelöst durch unangenehme Situationen und Grenzverletzungen. Wenn wir wütend sind, wird eine impulsive und aggressive Reaktion wahrscheinlicher, auch bezeichnet als „Wüten“ oder „Raserei“.
Das Gefühl von Ärger ist ähnlich wie Wut, jedoch in der Intensität schwächer.
Zorn ist weniger personenbezogen als Wut und richtet sich meist gegen eine spezifische Ungerechtigkeit, die uns aber nicht unbedingt direkt und persönlich betreffen muss. Damit ist der Zorn zielgerichteter und leichter zu kontrollieren.
Die Emotion von Hass richtet sich meist gegen Personen und weniger gegen Dinge oder Situationen. Sie ist außerdem ein starkes Gefühl von Aversion, das heißt man möchte sich (innerlich und äußerlich) von dieser Person abwenden und nichts mehr mit ihr zu tun haben. Wut verspüren wir dagegen, wenn wir noch etwas dazu sagen, etwas klären oder unsere Position markieren möchten. Sie führt damit nicht zum Beziehungsabbruch (wie der Hass), sondern eher zur Konfrontation.
Was uns die Wut mitteilt
Wut entsteht immer dann, wenn eine Grenzüberschreitung passiert ist, die entweder echt ist oder als solche wahrgenommen wird (z.B. Ungerechtigkeiten, Normverletzungen, Kränkungen, Hilflosigkeit, übermäßige Verantwortungsdelegation anderer Menschen), oder wenn ein wichtiges Bedürfnis ungestillt bleibt. Wut ist damit ein wichtiges Warnsignal, sich zu wehren oder aktiv zu werden.
Meist wird die Wut begleitet von körperlichen Reaktionen, die einer Stressreaktion ähneln, nämlich: beschleunigte Atmung und Puls, erhöhter Blutdruck, Adrenalinausschüttung und Muskelspannung. Unser Körper ist bei der Wut kurzzeitig in Alarmbereitschaft versetzt, unsere Kräfte sind gebündelt und wir sind bereit zum Kampf.
Damit ist das Gefühl an sich zwar unangenehm, aber doch wichtig – und damit an sich weder gut noch schlecht. Erst der Umgang damit, z.B. im unreflektierten, aggressiven und verletzenden Ausagieren der Wut, ist schlecht, weil es wiederum anderen schadet und das Problem nicht löst. Eine erhöhte Neigung zu Wutanfällen findet sich z.B. bei Menschen mit cholerischen Zügen.
Insgesamt bewirken alltägliche Probleme wie mangelnder Schlaf, Bewegungsmangel, Überlastung, Überreizung oder andere ungestillte Bedürfnisse (z.B. Hunger infolge einer Diät) eine Steigerung unserer Reizbarkeit, weshalb wir unter solchen Umständen schneller wütend reagieren.
Was passiert, wenn wir Wut unterdrücken
Wut zu zeigen, ist oft mit Schuld oder Schamgefühlen verbunden. Wir gestehen uns stattdessen nicht ein, dass diese da ist, oder unterdrücken solche Gefühle lieber – denn: „Das gehört sich ja nicht“. Doch damit ist die Wut nicht verschwunden. Unterdrückte Wut kann auf verschiedene Arten weiter in uns wirken.
Hier ein Überblick:
- In vielen Fällen „brodelt“ die unterdrückte Wut weiter. Es kommt zum Gedankenkreisen um die vergangene negative Situation oder Erfahrung. Die Aufmerksamkeit und Konzentration bleiben dadurch langfristig auf das negative Ereignis gerichtet und erfordern einen Großteil unserer Energie.
- Letztendlich kommt es so häufig zu anderen, tiefsitzenden negativen Emotionen wie Groll, Frustration oder Bitterkeit, sowie Verachtung von Menschen oder ganzen Menschengruppen (z.B. des anderen Geschlechts oder anderer Nationen), von denen wir uns schwerer wieder befreien können.
- Auch negative Effekte von unterdrückter Wut auf die psychische und physische Gesundheit sind bestätigt. Unter anderem steigt das Risiko für Depressionen, Essstörungen und Alkoholismus, sowie für Infekte, Bluthochdruck, einen hohen Cholesterinspiegel und Herzinfarkte.
Exkurs: Wutanfälle in der Trotzphase von Kindern
Im Alter von zwei bis fünf Jahren treten Kinder in die sogenannte Trotzphase ein und es kommt immer wieder zu Wutanfällen. Charakteristisch sind dabei starke körperliche und verbale Reaktionen auf Enttäuschungen, z.B. Sich-auf-den-Boden-Werfen, Weinen, Schreien, Treten, Schlagen und Werfen von Objekten.
Dies ist eine normale Phase der Entwicklung, in denen Kinder ihre Autonomie und ihren Willen entdecken und ausprobieren. Dazu gehört ein Testen von Grenzen und Regeln und den darauffolgenden elterlichen Reaktionen.
Wutanfälle in der Trotzphase können laut Forschungen in zwei Kategorien eingeteilt werden, aus denen sich unterschiedlich Vorschläge für einen geeigneten Umgang ableiten. Es gibt:
- Manipulative Wutanfälle, bei denen das Kind seinen Willen durchzusetzen versucht. Diese können durch Ignorieren und Nicht-Beachtung entmutigt und abschwächt werden.
- Wutanfälle aufgrund von echter Enttäuschung, z.B. wenn das Kind bei etwas gescheitert ist. In diesen Fällen braucht das Kind Trost und Zuspruch, um wieder ermutigt zu werden.
Die beiden Kategorien sind jedoch nicht leicht voneinander abzugrenzen und gehen in vielen Fällen ineinander über bzw. vermischen sich.
Im Idealfall gelingt es Eltern, Wutanfälle abzuwenden, indem sie ihren Kindern klare Grenzen vermitteln, wobei sich das Kind trotzdem noch ausprobieren dürfen sollte (z.B. unter Aufsicht).
In allen Fällen ist es wichtig, empathisch und feinfühlig zu bleiben und bei Schwierigkeiten oder kindlichen Krisen Deeskalationsstrategien anzuwenden, z.B. das Kind abzulenken und zu signalisieren, trotzdem für das Kind da zu sein.
Wie wir konstruktiv mit Wut umgehen können
Die Wut ist, wie bereits beschrieben, eine wichtige Emotion, die uns als Signal für Grenzüberschreitungen dienen kann. Wenn wir sie nur unterdrücken, lösen wir das Problem nicht, und provozieren damit langfristig nur schlimmeres.
Es gibt jedoch konstruktive Wege, mit Wut umzugehen und sie wieder loszuwerden. Hier finden Sie ein paar Tipps, wie:
- Kurz innehalten: atmen Sie ein paar Mal tief durch oder zählen Sie innerlich bis zehn, bis Sie antworten. Das verhindert eine Überreaktion bzw. selbst verletzend oder aggressiv zu antworten oder zu handeln.
- Auf Ihre Emotionen und Bedürfnisse hören: Nehmen Sie Ihre Wut ernst, kehren Sie sich nicht unter den Teppich und unterdrücken Sie sie nicht. Jede Emotion, auch Wut, kann Ihnen ein Hinweis sein, dass etwas falsch läuft und ein Bedürfnis ungestillt bleibt. Ein achtsamer und selbstmitfühlender Blick auf sich hilft, auch negative Emotionen nicht zu verdrängen und sie zu akzeptieren.
- Stehen Sie zu Ihrer Wut: ein sachliches „Ich bin gerade wütend“ zeigt anderen, wie es Ihnen geht, ohne dass Sie sofort laut werden müssen. Gestehen Sie sich das zu und stehen Sie dazu – sich selbst und anderen gegenüber. Bedenken Sie: Es hilft niemandem, wenn Sie stattdessen lächeln, der Konflikt dann aber später eskaliert.
- Das zugrundeliegende Bedürfnis identifizieren: Nehmen Sie sich (evtl. im Nachhinein) die Zeit für die Frage, warum Sie so wütend sind, und welches Bedürfnis verletzt wurde. So lernen Sie sich selbst besser kennen und können anderen Ihre Position besser verdeutlichen. Hinterfragen Sie dabei selbst z.B. „Ist diese Person wirklich verantwortlich oder steckt etwas anderes dahinter? Unterstelle ich dem anderen etwas, das vielleicht gar nicht stimmt?“
- Eigene Wut-Muster erkennen: Überlegen Sie sich, welche Situationen Sie immer wieder in Wut versetzen, wo Ihre wunden Punkte und Trigger sind. Die vorherige Bewusstmachung von solchen Mustern kann bei erneutem Eintreten von Situationen eine Hilfe sein, sich zu beruhigen und eventuell zu realisieren, dass der Fehler nicht unbedingt beim anderen liegt.
- Wut angemessen ausdrücken oder kanalisieren: Es gibt auch andere Arten, wie wir mit unserer Wut umgehen können, etwa durch Sport, Gespräche, Imaginationen, kreativen Ausdruck oder Entspannungsmethoden.
- Ausagieren von Wut, z.B. bei bestimmten Kampfsportarten und Tanzen: Dieses sprichwörtliche „Dampfablassen“ bewirkt, dass das Stresslevel im Körper sinkt. Eine bildliche Vorstellung dabei, wie Sie andere verprügeln oder anderweitig (körperlich) aggressiv werden ist jedoch kontraproduktiv und kann sogar eine Steigerung der Wut bewirken.
- Zeigen Sie sich verletzlich und bitten Sie um Verständnis: Eine kurze Erklärung Ihrer Reaktion kann Wunder bewirken. Sie geben Ihrem Gegenüber so die Möglichkeit, Ihre Reaktion einzuschätzen und zu verstehen – und empathisch zu reagieren, statt „zurückzuschießen“.
- Das Gespräch suchen: Gehen Sie nicht einfach über Ihre eigenen Gefühle oder unangenehme Situationen hinweg, indem Sie so tun, als wäre nichts passiert. Eventuell ergibt sich in den nächsten Tagen in einer ruhigen Minute Zeit für ein Gespräch und eine Klärung der Situation.
- Schreiben Sie Ihre Gedanken auf: Wenn Sie die Wut quält, Sie dem anderen weiter Vorhaltungen machen oder diesen eigentlich beschimpfen möchten, schreiben Sie es sich von der Seele. Das hilft außerdem beim Sortieren Ihrer Gedanken und kann Ihnen Hinweise geben, was Sie eigentlich so verletzt hat.
- Etwas unternehmen: Wenn Sie feststellen, dass die Wut berechtigt ist, leiten Sie konkrete Schritte in die Wege. Je nachdem wo das Problem liegt, kann das ganz unterschiedlich aussehen, z.B. einen Brief an den Vermieter schreiben, schlechte Muster und Konflikte im Beruf oder in der Partnerschaft ansprechen, bei Überforderung über Aufgabenverteilung sprechen etc.
Fazit
Wut ist etwas, das alle Menschen betrifft. Sie erfüllt eine Funktion und ist damit an sich nicht schlecht. Es hilft jedoch nicht, wenn wir sie einfach unterdrücken.
Stattdessen sollten wir damit konstruktiv umgehen, das heißt die Wut ernst nehmen, das Gefühl erforschen, dazu stehen, mit anderen über mögliche Ursachen und Auslöser ins Gespräch kommen und notwendige Schritte der Veränderung einleiten.
Für dieses Vorhaben wünsche ich Ihnen viel Erfolg und alles Gute!