Dissoziative Persönlichkeitsstörung
Traumatische Erlebnisse oder belastende Situationen können bewirken, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen aufspaltet. Lesen Sie in diesem Beitrag, was genau eine dissoziative Persönlichkeitsstörung ist, wie sie entsteht und wie eine Therapie helfen kann.
Was ist eine dissoziative Persönlichkeitsstörung?
Dissoziative Persönlichkeitsstörung ist ein Überbegriff für mehrere psychische Erkrankungen. Der gemeinsame Nenner ist, dass Betroffene auf hohe Belastungen oder traumatische Erlebnisse mit der Abspaltung von Erinnerungen, Empfindungen oder ganzen Persönlichkeitsanteilen bis hin zur Auslöschung der eigenen Identität reagieren. Der Betroffene weiß von einer oder mehreren Ebenen seiner persönlichen Identität schlichtweg nichts mehr. Die abgespaltenen Anteile machen sich selbständig und führen ein Eigenleben. Daher auch die Bezeichnung Dissoziation (lat. für Trennung, Spaltung).
Wie entsteht eine dissoziative Persönlichkeitsstörung?
Ein gesunder Mensch erlebt sich als Einheit von Gedanken, Handlungen, Körper und Gefühlen. Er hat ein Gefühl für seine Identität, auch wenn es ihm schlecht geht. Bei einer dissoziativen Störung geht diese Selbstwahrnehmung verloren. Auslöser einer gestörten Selbstwahrnehmung können belastende Erlebnisse aus der Vergangenheit sein, die durch verschiedene Situationen getriggert werden, aber auch akut belastende Erlebnisse. Zu den häufigsten auftretenden traumatischen Erfahrungen gehören Unfälle, Gewalterfahrungen, Missbrauch, Krieg und Naturkatastrophen.
Welche Arten dissoziativer Persönlichkeitsstörung gibt es?
Die dissoziative Persönlichkeitsstörung tritt in unterschiedlichen Formen auf. Entsprechend anders kann auch die Symptomatik ausfallen. Allen gemeinsam ist, dass körperliche Ursachen ausgeschlossen werden können. Nachfolgend ein kurzer Überblick:
- Dissoziative Amnesie: Belastende oder traumatische Ereignisse lösen den Gedächtnisverlust einzelner Szenen, Ereignisse oder Ereigniszusammenhänge bis hin zum kompletten Gedächtnisverlust aus.
- Dissoziative Fugue: Als Reaktion auf ein belastendes Ereignis bricht der Betroffene plötzlich sein normales Leben ab und begibt sich auf eine Reise. Die dabei auftretende Amnesie kann bis zum kompletten Identitätsverlust reichen, bei dem sämtliche Erinnerungen an die Vergangenheit fehlen. Die Fähigkeit zur Selbstversorgung bleibt dabei weitgehend erhalten.
- Dissoziativer Stupor: Als direkte Reaktion auf sehr belastende Ereignisse erstarren die Betroffenen. Trotz Augenbewegung und Muskelaktivität bewegen sie sich kaum mehr, sprechen nicht, reagieren nicht auf Umwelt und Sinneseindrücke.
- Dissoziative Trance- und Besessenheitszustände: In beiden Fällen kommt es zu einer vorübergehenden Bewusstseinsveränderung, die mit einem Identitätsverlust einhergeht (Trance = Einengung des Bewusstseins, Besessenheit = Annahme einer anderen Identität, z.B. ein Geist oder Gott).
- Dissoziative Bewegungsstörungen: Einschränkung oder Verlust der Bewegungsfähigkeit, Koordination, Sprachfähigkeit bis hin zur Unfähigkeit zu stehen.
- Dissoziative Krampfanfälle: Plötzlich auftretende Krämpfe ähnlich einem epileptischen Anfall mit trance- oder stuporähnlichen Zuständen (jedoch keine Bewusstlosigkeit).
- Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung: Partieller oder kompletter Verlust der Hautempfindung oder des Seh-, Hör-, oder Geruchssinnes.
- Multiple Persönlichkeitsstörung (= Dissoziative Identitätsstörung): Bei der schwersten Form der dissoziativen Störung tritt eine Bewusstseinsspaltung ein, um traumatische Erfahrungen auszublenden – das Bild der eigenen Identität zerbricht.
Weitere Formen der dissoziativen Störung sind die Depersonalisation und Derealisation. Dabei handelt es sich um Phänomene aus dem Bereich psychischer Wahrnehmungsstörungen, die bei zahlreichen psychischen Erkrankungen auftreten. Beide Formen treten häufig auch in Kombination mit anderen Formen der dissoziativen Störung auf.
- Depersonalisation: Betroffene haben das Gefühl, außerhalb ihres Körpers zu stehen und diesen zu beobachten. Das Gefühl wird als Selbstentfremdung wahrgenommen.
- Derealisation: Damit wird ein ähnliches Empfinden bezeichnet, das sich allerdings auf die Umwelt bezieht. Diese wird fremd und unwirklich wahrgenommen.
Die dissoziative Persönlichkeitsstörung tritt oftmals auch parallel zu anderen psychischen Störungen auf, wie zum Beispiel einer Depression, einer Schizophrenie oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Im Folgenden möchten wir noch näher auf die Multiple Persönlichkeitsstörung eingehen, häufig auch das „Dr. Jekyll und Mr. Hyde Syndrom“ genannt.
Das Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Syndrom
Die häufigste Ursache einer multiplen Persönlichkeitsstörung sind schwere Missbrauchserfahrungen während der Kindheit. Je nach Schwere des Traumas können sich zwei oder mehr Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Charakteren, Vorlieben, Fähigkeiten und Erinnerungen ausbilden, die nebeneinander existieren und nichts voneinander wissen. Wenn der Betroffene in eine anderen Persönlichkeitsanteil wechselt, nimmt er das selbst nicht wahr. Es besteht somit weitgehend eine Amnesie bezüglich der jeweils anderen Persönlichkeit.
Hollywood versus Realität
Mit der überzogenen Darstellung einer gespaltenen Persönlichkeit in Hollywoodfilmen wie Hitchcocks Klassiker „Psycho“ oder „Fight Club“ hat die Realität von Betroffenen nicht viel gemeinsam. In der Regel existiert eine gesunde Persönlichkeit, die mit dem Leben gut zurechtkommt. Daneben gibt es andere Persönlichkeitsanteile, die teilweise sehr unselbständig oder selbstwertunsicher sein können.
Erlebt man als Außenstehender einen Switch, dann hat man plötzlich einen Menschen mit einem komplett anderen Charakter und Wesen vor sich. Oder aber man spricht mit dem Betroffenen und plötzlich ist er „nicht mehr da“. Er wirkt wie in Trance, reagiert seltsam oder wechselt abrupt das Thema.
Auch in der Kleidung spiegeln sich die unterschiedlichen Persönlichkeiten: Ein Persönlichkeitsanteil tritt etwa äußerst konservativ auf, z.B. im schwarzen, hochgeschlossenen Kleid mit streng zusammengebundenem Zopf. Bei einer anderen Gelegenheit hat man dann plötzlich eine sexy gekleidete Frau mit High-Heels und knallig-rotem Lippenstift vor sich stehen.
Die Erlebniswelt des Betroffenen
Wie aber erlebt der Betroffene selbst seine Erkrankung? Meist sind es Erinnerungslücken, Depressionen oder Angstzustände, unter denen Menschen mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung leiden. Weitere Symptome können sein:
- Gegenstände werden verlegt oder an unerklärlichen Orten gefunden
- Betroffene finden sich an Orten wieder, für die sich keine Erklärung haben
- Gefühlsschwankungen
- Feedback von anderen Personen über seltsames und widersprüchliches Verhalten
- Erlebnisse der Entfremdung
- Plötzliche Erinnerung an traumatische Erlebnisse
- Unerklärliche Empfindungs- und Bewegungsstörungen des Körpers bzw. einzelner Körperteile
- Unsicherheit in Bezug auf die eigene Persönlichkeit
- Handlungen, von denen der Betroffene überzeugt ist, dass sie nicht zu ihm passen.
- Stimmen hören im Sinne einer Pseudohalluzination
Therapeutische Möglichkeiten
Die dissoziative Persönlichkeitsstörung kann durch Anteilearbeit sehr gut therapiert werden. Dabei geht es darum, die abgespaltenen Persönlichkeitsanteile bewusst zu machen und diese Teile dann wieder zu integrieren. Das funktioniert deshalb, weil jede „Persönlichkeit“ ein Teil der ursprünglichen Persönlichkeit ist, die auseinandergefallen ist und wieder zusammengefügt werden muss. Die Anteilearbeit ist ein langwieriger Prozess, da in Stresssituationen immer die Gefahr besteht, dass auf das alte Verhaltensmuster zurückgegriffen wird. Letzeres gilt allerdings auch für alle anderen Formen von Persönlichkeitsstörungen.
Fazit: Dissoziative Persönlichkeitsstörung
Für Betroffene ist es kein einfacher Weg, ihre Anteile bewusst zu machen, sie zu akzeptieren und wieder zu integrieren. Switcht beispielsweise ein Klient während einer Therapiesitzung und macht man ihn behutsam darauf aufmerksam, kann es passieren, dass er wieder aufwacht und zurückkommt, oder aber auch in der anderen Persönlichkeit bleibt und erst bei der nächsten Sitzung wieder anders ist. Auch wollen es Betroffene verständlicherweise oft nicht wahrhaben, was mit ihnen geschieht bzw. wollen sie es wahrhaben und lehnen es dann wieder ab. Grundsätzlich die Heilung einer dissoziativen Störung, auch einer multiplen Persönlichkeitsstörung, jedoch gegeben. Je schwerer die Traumatisierung, desto langwieriger ist allerdings in der Regel der Heilungsprozess.