Das gesellschaftliche Bewusstsein zu psychischen Erkrankungen und deren Behandlung wächst immer mehr. Menschen wissen heute meist, wie schwer psychische Störungen belasten und einschränken können und dass sie behandelt werden müssen. Das unterscheidet sie nicht von körperlichen Erkrankungen. Psychotherapie kann bei vielen seelischen Erkrankungen helfen.
Doch was ist Psychotherapie eigentlich? Welche Formen und Rahmenbedingungen gibt es? Und wie wirkt sie? Welche Faktoren sind bei einer Behandlung unumgänglich oder begünstigen die Heilungschancen zumindest? Und was muss ein guter Psychotherapeut mitbringen? Funktioniert Selbsttherapie?
All diese Fragen möchte ich im folgenden Artikel erörtern und beantworten. Wenn Sie dieses Thema interessiert, Sie selbst gerade eine Psychotherapie machen oder anstreben (und sich vielleicht noch unschlüssig sind), kann Ihnen der Artikel vielleicht weiterhelfen, um den therapeutischen Prozess besser zu verstehen und sich darauf einzulassen.
Was ist Psychotherapie?
Das Wort Psychotherapie leitet sich vom griechischen ψυχή (psyche) = Seele und θεραπεύειν (therapeuein) = heilen, dienen ab. Damit wird laut Dorsch, Lexikon der Psychologie, die gezielte professionelle Behandlung von psychischen Störungen und/ oder psychisch bedingter körperlicher Störungen verstanden.
Zudem ausschlaggebend für Psychotherapie im engeren Sinne sind:
- ein Konsens zwischen Therapeut und Patient zur Behandlung,
- die Interaktion bzw. Kommunikation zwischen Therapeut und Patient als psychologisches Mittel (meist verbal, teilweise aber auch averbal)
- ein definiertes bzw. erarbeitetes Behandlungsziel, z.B. Symptomreduktion
- lehrbare Behandlungstechniken (Gesprächsführungsmethoden)
- eine Theorie über normales und pathologisches Verhalten als Basis
Davon abzugrenzen sind Formen von psychologischer Beratung oder Coaching, die ein spezifisches Problem in den Fokus nehmen, jedoch nicht bei Vorliegen einer psychischen Störung oder als Heilkunde eingesetzt werden können.
Psychotherapieschulen und -formen
Die ersten rein psychotherapeutischen Versuche wurden Ende des 19. Jahrhunderts von Sigmund Freud mit der Psychoanalyse unternommen. Zeitgleich entwickelte sich in Amerika der Behaviorismus, Vorläufer und Grundlage der heutigen Verhaltenstherapie. In den 1930er Jahren kamen dann erste Humanistische Psychotherapieformen auf, allen voran die Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers.
Heute gibt es eine Vielzahl von verschiedenen psychotherapeutischen Schulen, die unterschiedliche Verfahren und Methoden anwenden und denen unterschiedliche Konzepte zugrunde liegen. Hier ein kurzer Überblick:
- kognitiv-behaviorale Verfahren: klassische Verhaltenstherapie, Kognitive Verhaltenstherapie, Schematherapie, Kognitive Therapie nach Beck, Metakognitive Therapie, Interpersonelle Therapie,
- analytische Verfahren: z. B. Psychoanalyse, Analytische Psychologie, Individualpsychologie,
- tiefenpsychologische Verfahren: z. B. Tiefenpsychologisch fundierte Therapie, Katathym-imaginative Psychotherapie,
- humanistische Verfahren: z. B. Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Psychodrama, Transaktionsanalyse, Logotherapie und Existenzanalyse, Existentielle Psychotherapie,
- systemische Verfahren: Systemische Therapie, Systemorientierte Psychotherapie oder
- körperorientierte Verfahren: bewegungs- und körperorientierte Therapien
Um die Vorteile der verschiedenen Schulen und deren spezifische Wirkfaktoren bestmöglich zu kombinieren, werden immer mehr integrative Psychotherapieverfahren genutzt, die schulenübergreifend arbeiten und verschiedene Methoden nutzen.
Hinsichtlich des Settings kann Psychotherapie als Einzeltherapie, Gruppentherapie, Familientherapie, Paartherapie oder auch als Internet-Intervention im ambulanten oder stationären Rahmen abgehalten und organisiert werden.
Anmerkend kann noch gesagt werden: Nicht alle Verfahren sind in ihrer Wirksamkeit empirisch bestätigt und demnach auch nicht anerkannt, was sich auf die Finanzierung durch Krankenkassen und die Anerkennung der therapeutischen Ausbildung auswirkt. Zudem unterscheidet sich die Liste der anerkannten Verfahren über den deutschsprachigen Raum hinweg erheblich.
Wie wirkt Psychotherapie? – Ergebnisse der Psychotherapieforschung
In der Psychotherapieforschung wird die Wirksamkeit der therapeutischen Prozesse untersucht und geprüft. Denn nur was wirkt, hilft weiter und macht Sinn. Dadurch wird außerdem ein besseres Verständnis der Wirkprinzipien und innerpsychischen Veränderungsvorgänge gewährleistet.
Es konnten folgende allgemeine Wirkfaktoren identifiziert werden:
- Emotionale vertrauensvolle Beziehung,
- Vermittlung oder Erarbeitung eines Erklärungsmodells der psych. Störung,
- bewältigungsunterstützende Problemanalyse,
- Vermittlung von Hoffnung,
- Erfolgserlebnisse, die Sicherheit und Kompetenz fördern, und
- Förderung von emotionalem Erleben als Basis für Veränderungen von Einstellungen und Verhalten (Emotionsidentifikation und -regulation)
Nach dem Modell der Allgemeinen Psychotherapie ist nicht die Therapiemethode oder -schule ausschlaggebend. Stattdessen werden fünf zentrale Wirkfaktoren der Psychotherapie postuliert, die methodenübergreifend nachweisbar sind:
- Ressourcenaktivierung: Fokussierung von pos. Möglichkeiten, Fähigkeiten, Interessen und Motivationen des Klienten (Ressourcenorientierung);
- Problemaktualisierung: Schaffung eines direkteren Zugangs zu den Problemen, indem diese durch bewusste Thematisierung oder Konfrontation gezielt erfahrbar gemacht werden.
- Aktive Hilfe zur Problembewältigung: Förderung von Kompetenzen, die die Bewältigung (Coping) und den Umgang mit störungsrelevanten Aspekten ermöglichen.
- Motivationale Klärung: Klärung der Ziele und Werte, die das Verhalten des Klienten motivieren, sowie der Ursprünge des pathologischen Verhaltens
- Problembewältigung: positive Bewältigungserfahrungen im Umgang mit Problemen
Was muss ein guter Therapeut mitbringen? – Der Therapeuten-Effekt
Der Therapeuten-Effekt beschreibt Faktoren, die ein Therapeut mitbringen sollte, damit die Therapie Erfolg hat. Diese Faktoren sind von Therapeutenseite ausschlaggebend dafür, dass eine Therapie gelingt. Patienten erfassen den Beitrag des Therapeuten schon beim ersten Kennenlernen meist intuitiv und schätzen dessen Kompetenzen, Fähigkeiten und Erfahrungen schnell ein.
Die Kombination aus diesen personenbezogenen Faktoren des Therapeuten, die sich daraus therapeutische Interaktion und Heilungserwartung des Patienten führen dazu, dass sich positivere oder negativere Heilungschancen ergeben.
Studien konnten zeigen, dass dabei vor allem folgende Faktoren eine Rolle spielen: Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Kompetenz des Therapeuten. Nicht relevant sind dagegen das Alter, Geschlecht, Erfahrung oder qualifizierender Abschluss des Therapeuten.
Aus diesen Daten lässt sich ablesen, dass es vor allem auf therapeutische Voraussetzungen und Persönlichkeitsmerkmale ankommt, die für zwischenmenschliche Erfahrungen von Sicherheit verantwortlich sind und die eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Therapeut und Patient ermöglichen.
Funktioniert Selbsttherapie?
Die Frage, ob Selbsttherapie funktioniert, ist nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Die Antwort ist etwas komplexer und muss die Voraussetzungen, die Verfassung und Fähigkeiten der Person, die sich selbst therapieren möchte, berücksichtigen.
Generell kann man sagen, dass Psychotherapie, Menschen dabei unterstützt und sie befähigt, eine Außenperspektive auf ihre Persönlichkeit, ihre Lebensgeschichte und ihr Störungsbild einzunehmen. Ist eine Person also in der Lage, diese Außensicht bzw. Metaperspektive auf sich einzunehmen, ohne dass sie Unterstützung von einem professionellen Psychotherapeuten braucht, kann die Frage mit Ja beantwortet werden: Selbsttherapie funktioniert.
In den Fällen, in denen wir unsere „Blinden Flecken“, unsere Macken und schlechten Verhaltensmuster bereits kennen und aus verschiedenen Gründen einfach noch nicht bearbeitet oder angepackt haben – vielleicht weil die Motivation oder der Anlass fehlt, oder weil es so immer noch funktioniert hat. Eventuell reicht in diesen Fällen bereits ein Buch, ein Video oder sonst irgendein Ratgeber und wir kriegen diese Verhaltensänderung selbst hin.
In Fällen und bei Menschen aber, bei denen die dafür notwendige Selbstreflexionsfähigkeit, Innensicht, Einsicht, Emotionsregulationsfähigkeit etc. fehlt, braucht es professionelle Hilfe, um unter therapeutischer Anleitung, diese psychische Störung und damit zusammenhängende Probleme anzugehen und wieder in den Griff zu bekommen.
Fazit
Psychotherapie ist ein komplexes Feld, was die verschiedenen existierenden Schulen und Verfahren angeht, aber auch wie genau sie wirkt.
Die gute Nachricht ist aber: Es gibt Faktoren der Therapie und des Therapeuten, die die Heilungschancen bei psychologischen Störungen und Themen erheblich begünstigen. Besonders wichtig ist es, dass Sie sich im therapeutischen Setting wohlfühlen und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Therapeuten aufbauen können. Denn nur mit Offenheit und Vertrauen in die Therapie können innere therapeutische Prozesse angestoßen und vollzogen werden.
Fühlen Sie in sich hinein und vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Die meisten Therapeuten bieten ein (kostenloses) kurzes Erstgespräch an, bei dem Sie Ihr Problem kurz schildern, Ihre Therapieziele festlegen und sich kennenlernen können. Wenn Sie auf der Suche nach professioneller Hilfe sind, nutzen Sie dieses Angebot.
Egal ob mit oder ohne Psychotherapie – für Ihr Heil-Werden wünsche ich Ihnen alles Gute!