Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung wird auch ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung genannt. Sie wurde erst in neuerer Zeit als Persönlichkeitsstörung klassifiziert, obwohl das Krankheitsbild schon immer existierte. Lange nicht als Krankheit definiert und anerkannt jedoch seit ca. 80 Jahren wird die Störung wissenschaftlich untersucht und auch beschrieben.
Was ist eine selbstunsichere Persönlichkeit und wann ist sie als Krankheitsbild anzusehen?
Personen mit einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung sind sozial gehemmt und fühlen sich dauerhaft unsicher, unzulänglich, oft auch minderwertig und sie sind schnell besorgt und ängstlich. Auf der anderen Seite haben sie ein starkes Bedürfnis nach Zuneigung und möchten von anderen Menschen akzeptiert und wertgeschätzt werden. Auf Zurückweisung und auch Kritik reagieren sie extrem empfindlich und sie sind von andauernden Selbstzweifeln geplagt.
Die Betroffenen leiden – im Gegensatz zu anderen Persönlichkeitsstörungen – sehr unter ihrem Empfinden und Verhalten. Sie empfinden ihr Verhalten selbst als Problem und neigen dazu, bestimmte Aktivitäten und auch Situationen zu vermeiden. Engere Bindungen und Beziehungen mit Anderen gehen sie nur ein, wenn sie sicher sind, bei ihnen Akzeptanz und Wertschätzung zu finden.
Die selbstunsichere Persönlichkeit ist einem selbstunsicheren Persönlichkeitsstil ähnlich, wobei bei einem selbstunsicheren Persönlichkeitsstil die Ausprägungen weniger stark sind. Menschen mit einem selbstunsicheren Persönlichkeitsstil neigen zu häufiger Selbstkritik und verhalten sich zumeist zurückhaltend und vorsichtig. Sie sind auch empfindlich gegenüber Zurückweisung und Kritik und sind in ihren Überzeugungen und Meinungen nicht stabil. Sie neigen dazu, sich an die Erwartungen anderer Menschen anzupassen. Weiter sind sie zurückhaltend und zuverlässig und bemühen sich um Konfliktausgleich, was Ihnen häufig die Anerkennung ihrer Mitmenschen einbringt.
Die typischen Symptome einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung in Abgrenzung zum selbstunsicheren Persönlichkeitsstil
Im Gegensatz zum selbstunsicheren Persönlichkeitsstil zeigen sich bei der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung große Ausprägungen sozialer Gehemmtheit, die sich stark einschränkend auf ihr Leben auswirken. Es sind für die Klassifizierung verschiedene Verhaltensmuster definiert, von denen mindestens vier Symptome zutreffen müssen, um eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung annehmen zu können.
- Vermeidung von engeren sozialen Kontakten aus Angst vor Zurückweisung oder Missbilligung, sowohl beruflich als auch privat
- Umgang mit Menschen, von denen sie nicht sichere Akzeptanz erwarten können, wird nur bei echter Notwendigkeit eingegangen
- Im sozialen Umgang dominiert die Angst, Ablehnung und Kritik zu erfahren
- Die gefühlte eigene Unzulänglichkeit läßt sie in jeder Art von zwischenmenschlicher Interaktion gehemmt agieren
- Sie fühlen sich anderen Menschen gegenüber minderwertig, unattraktiv und empfinden sich selbst als unbeholfen im gesellschaftlichen Umgang
- Neue Erfahrungen und persönliche Risiken vermeiden sie möglichst, aus Angst vor Mißerfolgen
Man geht davon aus, dass ca. ein bis zwei Prozent der Menschen von dieser Persönlichkeitsstörung betroffen sind. Sie trifft Frauen und Männer gleichermaßen. Häufig begleiten die Persönlichkeitsstörung Angstzustände und Depressionen. Auch kann sie Verbindung mit anderen Persönlichkeitsstörungen auftreten, wie z. B. der Borderline-Störung oder der dependenten Persönlichkeitsstörung.
Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung: Auswirkungen
Bei der selbstunsicheren Persönlichkeit werden der vermeidend-selbstunsichere Typ und der ängstlich-vermeidende Typ unterschieden. Beiden ist jedoch gemeinsam, dass sie zwar ein starkes Bedürfnis nach menschlicher Nähe verspüren, zwischenmenschliche Beziehungen jedoch vermeiden, aus Angst vor Zurückweisung und Ablehnung. Mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein lassen die Betroffenen in einem ungelösten Konflikt zurück, der sich in einer andauernden Diskrepanz zwischen Bindungssehnsucht und Bindungsangst manifestiert.
Auch in engeren Beziehungen ist es für Betroffene schwer, für sich selbst einzustehen und zu sprechen. Sie haben Angst, intimere Gefühle auszudrücken, da sie ständig Zurückweisung befürchten. In sozialen Beziehungen richten die Betroffenen ihre ganze Aufmerksamkeit auf die anderen Menschen und erfahren sich selbst durch die Reaktion dieser. Hier sind sie jedoch extrem empfindlich und oft können schon neutrale Verhaltensweisen bei ihnen ein Gefühl der Ablehnung erzeugen.
Häufig führt sie dieses Empfinden in die soziale Isolation. Ihr geringes Selbstwertgefühl läßt sie im sozialen Kontext in den Hintergrund treten. Sie werden meist als bescheiden, pflegeleicht und zuverlässig wahrgenommen. Das verschafft ihnen einerseits Sympathien, wird andererseits aber auch entsprechend ausgenutzt. Die Betroffenen können leicht manipuliert und gegängelt werden, da sie große Probleme haben auch einmal “Nein” zu sagen.
Ihre gefühlte Minderwertigkeit und Unzulänglichkeit versuchen die Betroffenen oftmals durch besonders gute berufliche Leistungen und eine große Aufopferungsbereitschaft auszugleichen. Dies macht sie natürlich dafür anfällig, auch ausgenutzt zu werden. Negative zwischenmenschliche Erfahrungen führen bei Ihnen dann zu großen zusätzlichen emotionalen Verletzungen, die sie weiter in den Rückzug treiben.
Im Gespräch mit anderen vermeiden sie oft den direkten Augenkontakt und sie wirken oft gequält in ihrem Ausdruck und der Kommunikation. Ihre innere Anspannung ist für Außenstehende spürbar.
Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung in Abgrenzung zur sozialen Phobie
Die soziale Phobie und die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung sind sich ähnlich, jedoch sind bei einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung die Symptome noch stärker ausgeprägt. Sie werden als Teil der Persönlichkeit des Betroffenen erlebt und haben sich manifestiert. Sie zeigen sich praktisch in allen Lebenssituationen.
Eine soziale Phobie hingegen zeigt sich durch Ängste in bestimmten sozialen Situationen. Klassische Beispiele sind hierbei z. B. die Unsicherheit Fremden gegenüber und die Angst öffentlich zu reden. Eine soziale Phobie kann auch später im Leben auftreten und sie wird kein Teil der eigenen Persönlichkeit. Sie kann meist erfolgreich durch eine Therapie behandelt werden und sich auch vollständig zurückbilden.
Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung: Welche Ursachen sind der Auslöser?
Es wird bei der Ursachenforschung zur selbstunsicheren Persönlichkeit angenommen, dass hier ein Mix aus genetischen, psychischen und auch umweltbedingten Faktoren ursächlich für die Entwicklung ist. Dies ist auch bei anderen Persönlichkeitsstörungen angenommen.
Genetisch bedingt kann eine Veranlagung zu innerer Unruhe, Angespannheit und Nervosität vorhanden sein. Auch eine besondere Empfindlichkeit gegenüber emotionalen Verletzungen kann veranlagt sein. Kommen in so einer Persönlichkeitskonstitution weitere negative soziale Erfahrungen und psychische Belastungen hinzu, kann sich die selbstunsichere Persönlichkeit ausbilden.
Die familiären Hintergründe – Kindheitserfahrungen
Aus der Perspektive der Psychoanalyse wird auch ein destruktives Verhalten der Eltern ihrem Kind gegenüber angeführt. Wenn ein Kind früh mit Abwertungen und Emotionslosigkeit im Elternhaus konfrontiert wird und keinerlei Wertschätzung erfährt, kann dies die Entstehung der Störung befördern. Die Geringschätzung führt bei den Betroffenen dazu, sich selbst abzuwerten und auch kein Selbstwertgefühl zu entwickeln. Sie neigen zu ständigen selbstkritischen und negativen Gedanken.
Typisch für diese familiären Beziehungsstörungen sind ein abwertender und überkritischer Erziehungsstil und eine Erziehung, die das Kind nicht zu eigenständigem Handeln motiviert hat. Das Kind wurde dabei oftmals beim Ausdruck eigener Gefühle und Bedürfnisse ignoriert, abgewertet oder verspottet. Vermeintliche oder kleine Fehler wurden bereits scharf kritisiert. Die grundsätzlichen Bedürfnisse des Kindes nach Anerkennung und Sicherheit sowie auch nach Akzeptanz und Lob wurden nicht erfüllt. Auch das Bedürfnis des Kindes sich mitzuteilen und sein Bedürfnis nach Selbstständigkeit und Autonomie wurde nicht befriedigt.
Die Ansätze der kognitiven Verhaltenstherapie setzen an der Eltern-Kind-Beziehung an. Durch ständige Kritik und Ablehnung im Elternhaus haben die Kinder ein negatives Selbstbild und negative Denkmuster entwickelt. Aus der Furcht vor weiteren Verletzungen vermeiden sie dann auch später im Leben häufig soziale Kontakte und gehen nur sehr schwer Freundschaften und Bindungen ein. Dadurch können sie keine Sozialkompetenz entwickeln und fühlen sich im sozialen Kontext stets unzulänglich. Sie ziehen sich mit der Zeit immer weiter zurück.
Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung: Behandlungsansätze
Grundsätzlich bietet die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen verschiedene Möglichkeiten, die sich durchaus ergänzen können. Neben psychotherapeutischen Methoden kommen auch psychoanalytische Verfahren, kognitive Verhaltenstherapien, Gruppentherapien und ggf. die Unterstützung durch Psychopharmaka in Frage. Die Ansätze sollen hier im Folgenden skizziert werden.
Psychotherapie
Die Psychotherapie gilt als erfolgversprechender Ansatz zur Behandlung der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung. Da bei dieser Persönlichkeitsstörung ein großer Leidensdruck beim Betroffenen entsteht, ist er meist einer Therapie gegenüber sehr positiv eingestellt und arbeitet gut mit dem Therapeuten zusammen. Die Therapie ist ähnlich aufgebaut wie bei einer Behandlung von Angststörungen oder einer sozialen Phobie. Die Therapien sind meist langfristig angelegt, um die notwendigen Verbesserungen beim Betroffenen erreichen zu können.
Problematisch in der Psychotherapie kann die Beziehung zwischen Therapeuten und Patient dann werden, wenn sich der Betroffene nicht akzeptiert und angenommen fühlt. Kann hier keine vertrauenvolle und wertschätzende Atmosphäre seitens des Therapeuten aufgebaut werden, meiden Betroffene die Therapiesitzungen oder brechen sie ab.
Auch können die ausgeprägten Ängste und Selbstzweifel der Betroffenen dazu führen, sich nur zögerlich auf bestimmte Therapiemethoden einzulassen. Es ist deshalb notwendig, den Betroffenen behutsam an die Therapie heranzuführen und ihn in kleinen Schritten an die Therapiemethoden zu gewöhnen. Der Therapeut ist hier besonders gefordert, eine vertrauensvolle und wertschätzende Beziehung zu seinem Patienten aufzubauen.
Psychoanalytische Therapie
Die Psychoanalytik kann auf zwei verschiedenen Wegen bei der selbstunsicheren Persönlichkeit ansetzen. Sowohl eine Langzeittherapie als auch eine kurzzeitige tiefenpsychologische Therapie können hier zum Erfolg führen.
Als erfolgreich wird gewertet, die Beziehung zwischen Betroffenem und Therapeuten einzusetzen, um die typischen Unsicherheiten und Problemstellungen, die sich für den Patienten in der Interaktion ergeben, aufzudecken. Hier spricht man von einer sogenannten “Übertragung”, bei der die persönlichen Beziehungsprobleme des Patienten auf die Beziehung zum Therapeuten überspielt werden.
In der Psychoanalytik können auch die individuellen Kindheitserfahrungen als Ursache der Störung bearbeitet werden.
Kognitive Verhaltenstherapie
Als vielleicht erfolgreichste Methode bei der Behandluung der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung hat sich die kognitive Verhaltentherapie erwiesen. Hierbei wird der Betroffene zunächst einmal umfassend über die Ursachen, Symptome und die entsprechenden Folgen für sein Leben aufgeklärt.
Schwerpunkt der Therapie ist eine gezielte Verbesserung der sozialen Kompetenzen des Betroffenen. Die Therapie soll dem Betroffenen helfen, sich im sozialen Umfeld besser zurechtzufinden und sie soll sein Selbstbewusstsein stärken. Dies wird praktisch geübt anhand von Fallübungen, Rollenspielen und oftmals mit Videoaufzeichnungen begleitet, die dem Betroffenen ein Feedback über sein Verhalten zurückspielen können. Auch die Bearbeitung negativer Denkmuster ist Gegenstand der Therapie. Der Betroffene soll lernen, seine destruktiven Einstellungen sich selbst gegenüber zu hinterfragen und diese dann durch optimistischere und positivere Einstellungen zu ersetzen.
In der Verhaltenstherapie kann auch an den äußerlichen Symptomen von Angst- und Unsicherheitszuständen gearbeitet werden. Die Stresssituationen lösen beim Betroffenen oft übermäßiges Schwitzen, Erröten oder auffällige nervöse Handlungen aus. Dadurch, daß man den Betroffenen absichtlich mit solchen Situationen konfrontiert, kann im Laufe der Zeit eine gewisse Gewöhnung eintreten. Dies kann helfen, die Überreaktionen abzulegen. Die kognitive Verhaltenstherapie ist ein pragmatischer Ansatz, der dem Betroffenen helfen soll, seine Probleme im Alltag besser zu meistern.
Gruppentherapie
Die Gruppentherapie ist im Falle einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung ein guter Ansatz, um im sozialen Kontext mit anderen Betroffenen den Umgang mit sozialen Kontakten zu üben. Hier geht es in erster Linie um ein gemeinsames Training von sozialen Fähigkeiten. Durch Übung in der Gruppe bekommen die Betroffenen vielseitiges Feedback und können auch von anderen Teilnehmern lernen. Die Gruppentherapie bietet die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und zur gegenseitigen Unterstützung. Die Betroffenen sollen hierbei lernen, mit Feedback aus der Gruppe umzugehen und auch selbst Feedback zu geben.
Begleitende Psychopharmaka
Um das Gefühl von Unzulänglichkeit und Unbehagen sowie Ängste besser in den Griff zu bekommen, kann der Einsatz von Antidepressiva sinnvoll sein. Psychopharmaka versprechen jedoch isoliert als Therapie keinen langfristigen Erfolg, sondern sollten zur Behandlung der selbstunsicheren Persönlichkeit ggf. begleitend und unterstützend eingesetzt werden.
Fazit
Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung ist eine Störung, die vom Betroffenen selbst als sehr quälend und belastend empfunden wird. Sie schränkt seine Handlungsmöglichkeiten im Leben weitgehend ein und hält ihn in einem ständigen Konflikt zwischen Bindungssehnsucht und Bindungsangst. Die Ursachen der Störung werden sowohl in einer gewissen genetischen Veranlagung als auch zusätzliche belastender psychischer Umstände und einem ungünstigen Umfeld vermutet.
Eine Behandlung der Störung kann auf verschiedenen Wegen angegangen werden. Oft sind die Betroffenen sehr kooperativ, da sie durch ihren Leidensdruck gerne Hilfe annehmen. Neben psychotherapeutischen Therapien können auch eine Psychoanalyse und besonders eine kognitive Verhaltenstherapie erfolgversprechend sein. Zusätzlich sind Gruppentherapien und/oder die Unterstützung durch Psychopharmaka ggf. hilfreich.
Bei dieser Art von Persönlichkeitsstörung sind in der Behandlung jedoch keine kurzfristigen großen Erfolge zu erwarten. Die Probleme der Selbstwahrnehmung und die Probleme in der sozialen Interaktion können nur behutsam und schrittweise gelöst werden und verlangen eine besonders vertrauensvolle und verständnisvolle Beziehung zwischen Therapeut und Betroffenem. Eine Stärkung des Selbstwertgefühles und des Selbstbewusstsein sind in der Therapie genauso wichtig, wie die Verbesserung der Fähigkeiten zur sozialen Interaktion.
Therapeuten sind hier besonders gefordert, eine sehr einfühlsame und verständnisvolle Beziehung zum Betroffenen aufzubauen, in der sich der Patient geborgen und verstanden fühlt. Dies ist Grundvoraussetzung für einen Therapieerfolg, da die grundlegende Angst vor Ablehnung oder Zurückweisung des Betroffenen, ihn sehr schnell wieder in eine vermeidende Haltung zurückfallen lassen kann.