Histrionische Persönlichkeitsstörung: Ein Leben als Selbstdarsteller
Die histrionische Persönlichkeitsstörung ist durch theatralisches Verhalten und den ausgeprägten Wunsch nach Geltung und Aufmerksamkeit gekennzeichnet. Erfahren Sie, welche Merkmale und Ursachen dieser Störung zugrunde liegen und wie eine Therapie helfen kann.
Die histrionische Persönlichkeitsstörung als Symptom der Hysterie
Die Bezeichnung histrionische Persönlichkeitsstörung leitet sich aus dem Begriff der Hysterie ab und das nicht zufällig. Tatsächlich war die histrionische Persönlichkeitsstörung ein Krankheitsbild, das früher gemeinsam mit der dissoziativen Persönlichkeitsstörung der Hysterie zugerechnet wurde.
Da der Begriff Hysterie aus einem Missverständnis der Antike entstand und heute als veraltet gilt, wurde er durch die Bezeichnungen histrionische Störung und dissoziative Störung ersetzt. Aus dem Altgriechischen übersetzt bedeutet Hysterie übrigens „an der Gebärmutter leidend“. Geprägt hat diesen Begriff der antike Mediziner Hippokrates. Für ihn war eine wandernde Gebärmutter die Ursache psychischer Leiden von Frauen, für die keine nachweisbare organische Ursache gefunden werden konnte.
Heute weiß man, dass nicht nur Frauen an dieser Persönlichkeitsstörung leiden. Aktuelle Studien zeigen, dass zwei bis drei Prozent der Bevölkerung – gleichmäßig verteilt zwischen Männern und Frauen – an einer histrionischen Persönlichkeitsstörung leiden.
Symptome der histrionischen Persönlichkeitsstörung
Bei einer histrionischen Persönlichkeitsstörung neigen Betroffene dazu, Dinge überaus dramatisch zu sehen oder theatral darzustellen. Oftmals fällt es ihnen schwer, zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden. Das äußert sich in groben, übertrieben einfachen Denkmustern, denen es an Genauigkeit mangelt, aber auch an einer hohen Beeinflussbarkeit. Im Umgang mit ihren Mitmenschen neigen Histrioniker zu kokettierendem Verhalten.
Generell wird von einer histrionischen Persönlichkeitsstörung dann gesprochen, wenn Betroffene mindestens vier der nachfolgenden Eigenschaften und Muster an den Tag legen:
- Übertriebener Gefühlsausdruck, theatralisches Verhalten oder dramatische Selbstdarstellung
- Ständige Suche nach Events und Erlebnissen, bei denen der Betroffene im Mittelpunkt stehen kann.
- Kokettierendes, verführerisches und manipulatives Verhalten in der Hoffnung auf diese Weise beim Gegenüber Gefallen zu finden
- Intensive und übermäßige Beschäftigung mit der eigenen Attraktivität
- Leichte Beeinflussbarkeit durch andere Menschen oder Ereignisse
- Labiles Affektverhalten (Gefühlsausbrüche)
Der Kern einer histrionischen Persönlichkeitsstörung ist letztlich ein ausgeprägtes Selbstwertproblem. Dahinter steckt die Angst, als Mann oder Frau nicht liebenswert zu sein. Oft zeigt ein Histrioniker auch Symptome einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, dissoziativen Persönlichkeitsstörung, Borderlinestörung und/oder depressiven Störung.
Subtypen der histrionischen Persönlichkeitsstörung
Die histrionische Persönlichkeitsstörung tritt in Form von verschiedenen Typen in Erscheinung. Jeder dieser Subtypen zeichnet sich durch eine unterschiedliche Ausprägung der oben genannten Symptome aus.
- Der infantile Typus ist durch eine stark hilflose Selbstwahrnehmung geprägt. Sein unterwürfig infantiles Verhalten korreliert oftmals mit der Furcht vor dem Verlassenwerden.
- Der schmeichelnde Typus versucht, sich Anerkennung und Respekt seiner Mitmenschen durch übermäßige Hilfsbereitschaft und Aufopferung zu erarbeiten. Für Betroffene ist es dann oft zweitrangig, dass ihr Verhalten für sie selbst negative Konsequenzen hat.
- Der hypomane Typus zeichnet sich durch Energie und Hyperaktivität aus. Das impulsive Verhalten stellt die Suche nach besonderen Erlebnissen in den Vordergrund.
- Der theatralische Typus ist – wie der Name bereits vermuten lässt – in der Lage, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen und versucht auch, sich selbst an die Authentizität der verkörperten Rollen glauben zu machen.
- Der verschlagene Typus gilt als stark manipulativ. Er nutzt seine Mitmenschen schamlos aus und ist extrem konkurrenzorientiert. Harsche Konflikte und wechselnde Bündnisse zählen zu seinem Repertoire.
Alle diese Subtypen haben die eine oder andere Form der Inszenierung gemeinsam, welche das Ziel hat, andere Menschen in eine Art Beziehung einzubinden. Das geschieht allerdings meist unbewusst und ist auf eine fehlende Stabilität im Kern des eigenen Selbst zurückzuführen. Aus dieser Labilität heraus entwickelt sich eine starke Abhängigkeit gegenüber forcierten, inszenierten Beziehungen mit anderen Menschen.
Täuschung durch perfekte Selbstdarstellung
Menschen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung haben ihr Auftreten meist so perfektioniert, dass sie sich – ähnlich wie Narzissten – auf den ersten Blick als besonders interessant und attraktiv verkaufen können. Erst mit wachsender Nähe zu den Betroffenen wird die Persönlichkeitsstörung als solche wahrnehmbar.
Die Suche nach einem übergeordneten Drama und einer starken, durch äußerliche Reize geprägten szenischen Struktur des Lebens dient dem Überdecken eines inneren Mangels. Während die Betroffenen glamourös und aufregend wirken, sind sie häufig von Selbstzweifeln geplagt, vom Gefühl, nie Liebe erfahren zu haben, oder nicht an ihrem eigenen Leben teilzunehmen.
Ursachen der histrionischen Persönlichkeitsstörung
Eine histrionische Persönlichkeitsstörung ist auf eine stark gestörte Entwicklung des Selbst zurückzuführen. Der Betroffene ist sich seines eigenen Wertes nie sicher. Als eine der konkreten Ursachen einer histrionischen Persönlichkeitsstörung gilt ein kühles, kontrollierendes Elternhaus, das in Betroffenen früh das Gefühl ausgelöst hat, niemals richtig geliebt worden zu sein.
Wenn ein Kind die Wertschätzung und Zuneigung der Eltern – insbesondere des gegengeschlechtlichen Elternteils – als unzureichend erlebt, entwickelt es Strategien, um diese fehlende Liebe zu erhalten. Es verhält sich kokett, in der Hoffnung auf diese Weise anderen Menschen zu gefallen. Hinzu kommt oft der krankhafte Glaube, nicht für sich selbst sorgen zu können und entsprechend auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
Therapie: Selbstwertgefühl aufbauen und Autonomie fördern
In Hinblick auf eine therapeutische Behandlung kommt es bei Histrionikern häufig zu einem konträr wirkenden Phänomen: Aufgrund ihrer emotional theatralen Selbstwahrnehmung suchen sie häufiger therapeutische Hilfe als Menschen mit einer anderen psychischen Erkrankung. Dennoch gestaltet sich die Therapie oftmals schwierig, da Betroffene wenig einsichtig sind und mit Frustrationen schwer umgehen können.
Aus eigenem Antrieb wollen sich Histrioniker oftmals gar nicht ändern, stattdessen ziehen sie das dramatische, selbstgeschaffene Bild ihrer Probleme vor. Im schlimmsten Fall neigen sie zu einer manipulativen Beziehung dem Therapeuten gegenüber und verfallen einem Modus, in dem sie dem Therapeuten Fortschritte vorgaukeln, um ihm zu gefallen.
In der Therapie geht es daher darum, Betroffene dabei zu unterstützen, ein neues Selbstwertgefühl aufzubauen, das ihnen zu mehr Kontrolle, Selbstsicherheit und Autonomie verhilft. Sie lernen, weniger sprunghaft zu sein und Zeit mit sich selbst zu verbringen. Nur aus diesem Respekt dem eigenen Selbst gegenüber und dem Gefühl, sich selbst genug zu sein, können Menschen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung stabile Beziehungen aufbauen.