Hilfsbereit und selbstlos sein ist zutiefst menschlich, eine gute Eigenschaft und sozial durchaus erwünscht – ja sogar notwendig für das gesellschaftliche Zusammenleben. Jedoch hilft es sich immer wieder zu fragen: Bin ich einfach nur hilfsbereit oder habe ich vielleicht schon ein Helfersyndrom? Gerade, wenn Sie bei sich ein Muster feststellen, immer wieder anderen zu helfen, ohne auf Ihre eigenen Grenzen zu achten oder wenn Sie sich durch ständiges Helfen und Für-andere-da-sein überfordert fühlen. In diesem Artikel werden Sie mehr darüber erfahren, wie hilfsbereites Verhalten aussieht und was bereits auf ein Helfersyndrom hindeutet. Außerdem erfahren Sie, wie sie dagegen vorgehen können, wenn Sie davon betroffen sind.
Was ist Altruismus?
Altruismus (von lat. alter = der andere) bedeutet Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit, rücksichtsvolles Handeln, das vor allem andere im Blick hat. Es ist das Gegenteil von Egoismus. Der Altruist tut anderen etwas Gutes, ohne dafür etwas zurückzuverlangen. Außerdem tut diese Person das freiwillig. Das führt dazu, dass es dem Handelnden (zumindest kurzfristig) mehr Kosten als Nutzen bringt – er investiert also mehr, als dass er zurückerhält. Ein Beispiel dafür sind die Ärzte ohne Grenzen, die große Mühen auf sich nehmen und meist ohne Bezahlung, unter sehr ungünstigen Bedingungen für das Wohl von armen, kranken Menschen arbeiten.
Was motiviert uns zu altruistischem Handeln?
Oft gehen wir Menschen davon aus, dass wenn wir Gutes tun, es irgendwann auch wieder „zu uns zurückkommt“. Es zahlt sich aus, denn irgendwann wird jemand wiederum uns etwas Gutes tun. Dieses Prinzip heißt auch „Reziprozität“, also Gegenseitigkeit. Darauf beruht jede Form von Gesellschaft und des Zusammenlebens, anders würde soziales Leben und ein Miteinander nicht funktionieren.
Studien haben aber gezeigt, dass es auch ein paar äußere Faktoren gibt, die Hilfsbereitschaft fördern. Wir Menschen handeln zum Beispiel viel eher hilfsbereit, wenn wir nicht im Stress oder Zeitdruck sind und wenn wir selbst gerade in einer freudigen Stimmung sind. In diesen Situationen ist uns nämlich eher möglich Empathie mit jemandem zu empfinden – und das ist ein entscheidender Faktor, ob wir helfen oder nicht.
Altruistische Persönlichkeit
Wenn ein Mensch eine überdauernde Tendenz und eine gewisse Veranlagung dazu aufweist, selbstlos und hilfsbereit zu handeln, spricht man von einer altruistischen Persönlichkeit. Altruistische Menschen glauben, dass sie Situationen selbst beeinflussen können (sog. „internale Kontrollüberzeugung“). Sie glauben an eine gerechte Welt, sind in ihrer Persönlichkeit empathisch und legen Wert auf soziale Verantwortung.
Sie handeln also meist im Sinne der Nächstenliebe und sind Vorbilder für ein tugendhaftes, rechtschaffenes Leben. Oft ergreifen diese Helfer-Menschen helfende Berufe und arbeiten zum Beispiel als Pfleger, Sozialarbeiter, Ärzte etc.
Nimmt die Hilfsbereitschaft jedoch einen zu großen Teil des Lebens ein, kann sie auch zur Falle werden. Dann spricht man vom Helfersyndrom oder pathologischen Altruismus.
Das Helfersyndrom – oder: Pathologischer Altruismus
Pathologischer Altruismus bedeutet, dass das Ausmaß der Hilfsbereitschaft übermäßig ist und bereits schädliche Folgen (für sich und andere) hat. Man spricht auch manchmal von krankhafter Nächstenliebe – oder eben vom Helfersyndrom.
Das Helfen-Wollen wird zu einem inneren Helfen-Müssen, ein Gar-nicht-mehr-anders-können. Das fürsorgliche Verhalten kann dann z.B. dazu führen, dass Dinge für andere übernommen werden, die diese auch noch selbst erledigen können und wollen. Dabei kann es zu einem Hinwegsetzen über (professionelle) Verantwortlichkeiten kommen, und es besteht die Gefahr, dass der Helfer ständig über die eigenen Kräfte hinausgeht und im Extremfall sogar im Burnout landet und an Erschöpfungsdepression leidet.
Über das Kümmern um andere vergisst derjenige dann, dass auch er manchmal hilflos ist und schwach und selbst Probleme hat – und dass er auch mal Nein-sagen darf.
Die Entstehung eines Helfersyndroms wird in der Kindheit vermutet. Kinder, die nicht (genug) geliebt oder abgelehnt wurden (entweder weil sie unerwünscht waren oder weil ihnen z.B. wegen Berufstätigkeit der Eltern, anderen Geschwisterkindern etc. nicht genug Raum gegeben wurde) können bereits früh ein Helfersyndrom entwickeln. Nach dem Motto „Weil mir nicht geholfen wurde, helfe ich anderen“ gestalten sie ihr Leben und erhoffen sich dadurch die so vermisste Liebe und Anerkennung endlich zu erhalten. Sie werden aber nie wirklich „satt“ daran.
Im Unterschied zu altruistischen, uneigennützigen Motiven sind pathologische Helfer mit Helfersyndrom deshalb eher an der Befriedigung der eigenen (meist unbewussten) Bedürfnisse interessiert.
Als Erwachsene erkennt man Helfer daran, dass sie innerlich Buch darüber führen, wie viel sie geben und dies mit der (unausgesprochenen) Erwartung verknüpfen, alles zurückzuerhalten. Die Folge sind Frust und Groll, weil andere diesen Erwartungen nicht entsprechen können. Diese negativen Emotionen werden dann aber meist nur über indirekte Aggressionen wie Tratschen oder Ignorieren transportiert, wobei keine direkten Konflikte oder Kritik zu befürchten sind. Zudem verlernen sie, ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und körperlichen Grenzen zu sehen und selbst Hilfe anzunehmen.
Das Helfersyndrom – bin ich betroffen?
Folgende Sätze können so oder so ähnlich in Ihnen auftauchen, wenn Sie vom Helfersyndrom betroffen sind:
- Ich bin weniger wert als die anderen.
- Ich muss anderen helfen, um Anerkennung zu erhalten.
- Ich weiß, was mein Gegenüber braucht, vielleicht sogar besser als er/sie selbst.
- Ich könnte noch mehr tun.
- Ich brauche keine Hilfe. Ich muss das allein schaffen.
- Ich muss das noch schaffen (trotz körperlicher Erschöpfung).
- Wenigstens ein Danke wird man doch noch dafür erwarten dürfen.
- Warum merkt keiner, wie viel ich investiere?
- Was könnte er/sie noch brauchen?
Wenn Sie solche Sätze auch von sich kennen, kann es also sein, dass Sie vom Helfersyndrom betroffen sind. Im nächsten Abschnitt finden Sie einige Tipps und Tricks, wie Sie damit umgehen können, wenn Sie betroffen sind, damit Sie Stück für Stück in eine gesunde Hilfsbereitschaft zurückfinden.
Tipps und Tricks für Betroffene
Folgende Tipps können Ihnen bei einem Helfersyndrom Besserung bringen:
1. Reden Sie darüber!
Suchen Sie sich eine Person Ihres Vertrauens oder einfach nur jemand außenstehenden, um mit ihm über Ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen zu reden. Der Vorteil dabei ist, dass Sie dadurch eine neue Perspektive auf das Problem erhalten. Außerdem können sich dadurch neue Lösungsmöglichkeiten auftun.
2. Lassen Sie sich beraten!
Es kann helfen, sich eine fachliche Perspektive und Rat von Experten hinzuziehen. Diese kennen sich mit der Thematik aus und können Hilfestellungen anbieten. Sollten Sie feststellen, dass Sie allein nicht weiterkommen, kann auch eine Therapie helfen. Haben Sie keine Angst davor! Sich das einzugestehen, ist ein wichtiger Schritt für Veränderung.
3. Üben Sie sich in einer klaren und offenen Kommunikation!
Jeder Mensch hat Grenzen und jeder kommt immer wieder mal an den Punkt der Überforderung. Es ist wichtig, das auch klar an andere zu kommunizieren. Lernen Sie Nein zu sagen, wenn sie sich überfordert fühlen. Erinnern Sie sich: Sie sind nicht für alles alleine verantwortlich. Und Recht machen kann man es sowieso nie allen.
4. Entspannungstechniken und Sport als Ausgleich
Entspannungstechniken und Sport können helfen, einen Ausgleich zu finden und angestauten Stress abzubauen. Außerdem können Sie dadurch wieder etwas Zeit und Raum für sich gewinnen und sich auch mal selbst etwas Gutes tun, statt immer nur den anderen. Außerdem setzen sportliche Betätigungen, Bewegung und Entspannung Glückshormone im Gehirn frei, die dafür verantwortlich sind, dass wir uns wohlfühlen.
5. Neue Strukturen schaffen
Neue Strukturen helfen uns alte Muster zu überwinden. Regelmäßige Pausen am Tag, einen freien Tag in der Woche, bestimmte regelmäßige Aktivitäten, die Freude bereiten, helfen uns, zwischendurch aus dem „Hamsterrad“ von Stress und ständigem Arbeiten auszubrechen. Planen Sie z.B. Pausen ein, setzen Sie Prioritäten in Ihren Aufgaben und geben Sie auch mal was an andere ab. Durch das Wiederholen neuer Verhaltensweisen üben Sie diese ein und verinnerlichen Sie sie.
Schlussgedanke
Wie Sie wahrscheinlich bemerkt haben, ist der Übergang zwischen echtem Altruismus und einem Helfersyndrom fließend. Jedoch kann es durchaus Anzeichen geben, die dem aufmerksamen Beobachter auffallen können. Für die Problematik des übermäßigen Helfens kann dieser Artikel sensibilisieren und eine erste Bewusstmachung anstoßen, sowie erste Tipps für eine Gegensteuerung und Besserung geben.
Als Faustregel gilt: Echte Hilfsbereitschaft wahrt die Grenzen des anderen und die eigenen.
Wenn Sie sich überfordert fühlen, ist es also durchaus gesund, auch mal Nein zu sagen und klar zu kommunizieren. Probieren Sie es aus!
Quellen
Darley, John M.; Batson, C. Daniel (1973): “From Jerusalem to Jericho”: A study of situational and dispositional variables in helping behavior. In: Journal of Personality and Social Psychology 27 (1), S. 100–108. DOI: 10.1037/h0034449.
Hans Werner Bierhoff; Renate Klein; Peter Kramp (1991): Evidence for the Altruistic Personality from Data on Accident Research. In: Journal of Personality 59 (2), S. 263–280. DOI: 10.1111/j.1467-6494.1991.tb00776.x.
Messer, Barbara (2014): Helfersyndrom? Strategien für verantwortungsvolle Pflegekräfte. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft. Online verfügbar unter https://ebookcentral.proquest.com/lib/kxp/detail.action?docID=1793603.