Die abhängige Persönlichkeitsstörung wird auch als dependente oder asthenische Persönlichkeitsstörung bezeichnet. Sie ist insbesondere durch Trennungsangst, ein geringes Selbstbewusstsein und ein klammerndes Verhalten gekennzeichnet. Sie kommt meist durch ein Zusammenspiel verschiedenster Faktoren zustande. Die dependente Persönlichkeitsstörung wird zumeist durch eine Psychotherapie behandelt, welche sich insbesondere auf die Stärkung der Selbstständigkeit fokussiert.
Abhängige Persönlichkeit: Der Unterschied zur Persönlichkeitsstörung
Im Gegensatz zu einer tatsächlichen Persönlichkeitsstörung ist eine abhängige Persönlichkeit weniger ausgeprägt. Menschen mit diesem Persönlichkeitsstil sind gegenüber anderen sehr loyal und auch anhänglich. Sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche unter die von anderen Menschen. Sie können sich aber auch besonders gut in die Perspektive von anderen hineinversetzen und kooperieren deshalb gut mit anderen. Insbesondere durch die letzten beiden Fähigkeiten haben sie häufig einen sehr großen Freundeskreis, was sie von der abhängigen Persönlichkeitsstörung unterscheidet. Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeit arbeiten sehr häufig in Berufen, wo ihre Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit gefordert sind. Beispiele dafür sind Pfleger oder auch Sozialarbeiter.
Typische Symptome für eine abhängige Persönlichkeitsstörung
Betroffene glauben, dass sie nicht in der Lage sind für sich selbst zu sorgen. Sie versuchen durch Unterwürfigkeitandere Menschen dazu zu bringen, dass diese sich um sie kümmern. Normalerweise brauchen Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung schon bei gewöhnlichen Entscheidungen viel Beratung. Häufig übergeben sie die Verantwortung für viele Aspekte ihres Lebens an andere Personen, meist sogar nur eine Person. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit von dieser Person, die ihnen sagen muss, was sie tun sollen.
Betroffene halten ihre eigenen Fähigkeiten für gering und sehen sich selbst als minderwertig an. Kritik oder Ablehnung wird als der Beweis für ihre eigene Unfähigkeit gesehen. Durch dieses Unvertrauen in sich selbst, fällt es ihnen schwer eine neue Aufgabe anzufangen. Außerdem vermeiden sie Tätigkeiten, die die Übernahme von Verantwortung erfordern. Nach außen hin präsentieren sie sich als inkompetent und brauchen deshalb dauerhaft Hilfe und Beruhigung. Bei Schwierigkeiten oder Fehlern zeigen sie die Tendenz die Verantwortung dafür anderen zuzuschieben.
Sie sind nicht in der Lage ihre eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen, denn sie haben Angst dadurch die Unterstützung der anderen zu verlieren. Selbst wenn ihr Ärger angemessen wäre, würden sie diesen nicht ausdrücken. Darüber hinaus zeigen Betroffene ein verstärktes Bemühen, um Unterstützung von anderen zu erhalten. Das kann von der Übernahme von unangenehmen Aufgaben bis zur Hinnahme von körperlichem, sexuellem oder emotionalem Missbrauch reichen. Das Alleinsein führt zu extremer Ängstlichkeit und Unwohlsein, da sie glauben, dass sie nicht für sich selbst sorgen können.
Betroffene mit dieser Persönlichkeitsstörung interagieren meist nur mit einigen wenigen Menschen, von denen sie dann abhängig sind. Endet eine dieser engen Beziehungen, versuchen sie sofort einen Ersatz zu finden. Da sie diesen Ersatz für absolut notwendig halten, sind sie bei der Wahl nicht sehr wählerisch.
Diagnostik der abhängigen Persönlichkeitsstörung
Die abhängige Persönlichkeitsstörung ist nach dem DSM-5 insbesondere durch ein starkes und tief greifendes Bedürfnis umsorgt zu werden gekennzeichnet. Dieses Bedürfnis führt zu Trennungsangst sowie klammerndem und unterwürfigem Verhalten. Für eine Diagnose müssen mindestens fünf der folgenden Punkte zutreffen:
- Schwierigkeiten ohne die Beratung und Bestätigung durch andere auch alltägliche Entscheidungen zu treffen.
- Andere müssen die Verantwortung für die wichtigsten Bereiche im Leben der Betroffenen übernehmen.
- Betroffene haben aus Angst die Zustimmung und Unterstützung zu verlieren, Probleme damit ihre eigene Meinung gegenüber anderen zu vertreten.
- Sie haben Schwierigkeiten damit, eine Unternehmung selbstständig zu beginnen oder unabhängig von anderen durchzuführen – das liegt nicht an fehlender Motivation oder Tatkraft, sondern an dem mangelnden Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das eigene Urteilsvermögen.
- Der Erhalt der Versorgung und Zuwendung durch andere ist extrem wichtig, sodass Betroffene alles tun, um sie aufrechtzuerhalten – es werden auch sehr unangenehme Aufgaben freiwillig übernommen.
- Das Alleinsein löst Gefühle von Hilflosigkeit und Unwohlsein aus – Betroffene haben übertriebene Angst, dass sie nicht für sich selbst sorgen können.
- Nach Beendigung einer Beziehung suchen Betroffene sofort eine andere Beziehung, um wieder Fürsorge und Unterstützung zu erhalten.
- Betroffene werden auf unrealistische Art von der Angst vereinnahmt, dass sie verlassen werden und dann für sich selbst sorgen müssen.
- Eine Trennung resultiert in dem Gefühl, dass das Leben an ihnen vorbeiläuft.
- Ein Gefühl innerer Leere.
Die Symptome nach dem ICD-10 sind denen des DSM-5 sehr ähnlich, allerdings müssen nur vier der Symptome zutreffen, damit eine asthenische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wird.
Abhängige Persönlichkeitsstörung: Abgrenzung von anderen Persönlichkeitsstörungen
Auch einige andere Persönlichkeitsstörungen werden durch die Angst vor Ablehnung geprägt. Es gibt jedoch einige charakteristische Merkmale, durch die sie sich von der abhängigen Persönlichkeitsstörung unterscheiden.
- Borderline-Persönlichkeitsstörung: Im Gegensatz zu Patienten mit abhängiger Persönlichkeitsstörung haben Betroffene der Borderline-Persönlichkeitsstörung weniger Kontrolle über ihr Verhalten. Sie sind emotional und schwanken deshalb zwischen Unterwürfigkeit und Wutanfällen.
- Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung: Patienten mit dieser Persönlichkeitsstörung sind ebenfalls zu ängstlich, um eine ähnliche Kontrolle wie bei einer dependenten Persönlichkeitsstörung aufzuweisen. Die Betroffenen ziehen sich solange zurück, bis sie sich sicher sind, dass sie kritiklos akzeptiert werden. Eine abhängige Persönlichkeitsstörung ist hingegen durch das Suchen und die Aufrechterhaltung von abhängigen Beziehungen mit anderen gekennzeichnet.
- Histrionische Persönlichkeitsstörung: Im Gegensatz zur abhängigen Persönlichkeitsstörung suchen Betroffene eher nach Aufmerksamkeit als nach Beruhigung. Zusätzlich sind sie weniger gehemmt und suchen aktiv nach der Aufmerksamkeit der anderen, während Betroffene einer abhängigen Persönlichkeitsstörung eher zurückhaltend sind.
Häufigkeit und Komorbidität der dependenten Persönlichkeitsstörung
Insgesamt sind keine genauen Zahlen zum Vorkommen dieser Persönlichkeitsstörung bekannt. Es wird aber geschätzt, dass die dependente Persönlichkeitsstörung etwa ein Prozent der Bevölkerung betrifft. Die Störung wird häufig von weiteren psychischen Erkrankungen begleitet. Dazu gehören beispielsweise Angststörungen, Depressionen oder somatoforme Störungen. Zusätzlich können Betroffene auch noch weitere Persönlichkeitsstörungen aufweisen, wie zum Beispiel eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung. Außerdem weisen sie ein erhöhtes Risiko für Suizid und Süchte auf, beispielsweise Alkoholabhängigkeit.
Mögliche Ursachen der abhängigen Persönlichkeitsstörung
Wie bei vielen anderen psychischen Erkrankungen auch, wird angenommen, dass die Störung durch eine Interaktion von verschiedenen biologischen, psychischen und Umweltfaktoren entsteht.
Psychoanalytische Theorie
Die psychoanalytische Theorie nimmt an, dass insbesondere Faktoren in der frühen Kindheit für die Entstehung von Bedeutung sind. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Eltern der Betroffenen einen überbehütenden und liebevollen Erziehungsstil gezeigt haben, der den Kindern aber wenig Freiheit gelassen hat. Eine andere Möglichkeit ist ein autoritärer, entwertender und überkritischer Erziehungsstil. Generell gilt, dass das Bedürfnis nach Autonomie, Lob und Akzeptanz nicht genügend erfüllt wurde. Durch dieses Verhalten könnten sie Trennungsangst und Gefühle der Unsicherheit verstärkt und dadurch ein abhängiges Verhalten gefördert haben. Außerdem kann es durch einen frühen Verlust, wie die Scheidung oder der Tod eines Elternteils zu Angst vor dem Verlassen werden kommen.
Kognitive Verhaltenstherapie
Diese Therapieform geht davon aus, dass die Eltern eine Ablösung und unabhängiges Verhalten ihrer Kinder verhindern wollten. Deshalb haben sie abhängiges Verhalten belohnt und unabhängiges Verhalten bestraft. Daraufhin bilden die Betroffenen zusätzlich auch ungünstige Überzeugungen über sich selbst aus. Sie glauben sie seien unfähig und hilflos und müssten stets auf den Schutz und die Unterstützung von anderen angewiesen sein.
Lernen am Modell
Hier wird davon ausgegangen, dass die Betroffenen das Verhalten von ihren Eltern übernommen haben. Sie haben sich diese als Modell genommen und entwickeln daraufhin nur ein geringes Selbstvertrauen. Außerdem können sie die Fähigkeiten selbstständig Entscheiden zu treffen, Handlungen eigenständig zu beginnen und Verantwortung zu übernehmen nicht aufbauen.
Die verschiedenen Behandlungsansätze bei der abhängigen Persönlichkeitsstörung
Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten Ansätze zur Behandlung einer dependenten Persönlichkeitsstörung näher erläutert.
Der psychotherapeutische Ansatz
Die Psychotherapie ist der wichtigste Ansatz zur Behandlung einer dependenten Persönlichkeitsstörung. Betroffene gehen aber häufig erst dann in eine Therapie, wenn sie eine wichtige Bezugsperson verloren haben. Das kann zum Beispiel bei einer Trennung oder einem Todesfall passieren. Dann fühlen sich die Betroffenen meist absolut hilflos. Sie wissen nicht mehr, wie sie die Anforderungen und Entscheidungen des täglichen Lebens alleine bewältigen sollen. Manchmal kann es aber auch sein, dass Betroffene aufgrund von sozialem Druck eine Therapie aufsuchen. Es kann beispielsweise sein, dass die Familie Druck auf den Betroffenen ausübt oder der Partner sonst mit Trennung droht.
Die abhängige Persönlichkeitsstörung kann häufiger erfolgreich therapiert werden, als andere Persönlichkeitsstörungen. Während der Therapie ist es wichtig, dass die Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit der Betroffenen gefördert wird. Außerdem müssen ihre Kompetenzen in der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben und Entscheidungen verstärkt werden. Sie müssen ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse erkennen lernen. Zusätzlich wird versucht, ihre sozialen Fähigkeiten zu verbessern. Um diese Ziele zu erreichen, kommen meist ähnliche Methoden wie bei der Therapie der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung zum Einsatz.
Kognitive Verhaltenstherapie
Die Inhalte der Therapie ähneln denen zur Therapie der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung. Besonders wichtige Faktoren innerhalb der Therapie sind die Aufklärung der Betroffenen über die Ursachen, Folgen und Symptome der Störung. Außerdem wird auf eine Verbesserung der sozialen Fähigkeiten abgezielt und die Eigenständigkeit wird verstärkt. Betroffene können beispielsweise in einem Selbstsicherheitstraining lernen, wie sie ihre Bedürfnisse und Wünsche in sozialen Situation angemessen ausdrücken. Außerdem lernen sie, wie sie sinnvoll Kritik an anderen üben können. Darüber hinaus wird eine allmähliche Veränderung der festen Überzeugung der eigenen Hilflosigkeit und Unfähigkeit angestrebt, indem diese in der Therapie hinterfragt wird.
Tiefenpsychologisch und psychoanalytische fundierte Therapie
Die Entstehung der dependenten Persönlichkeitsstörung ist nach Ansicht der Psychoanalyse durch sehr ähnliche Faktoren wie bei einer Depression bedingt. Aus diesem Grund werden bei beiden Therapien oft verwandte Behandlungsstrategien genutzt. Es wird von unbewussten inneren Konflikten ausgegangen, deren Entstehung durch negative Erfahrungen in der Kindheit begründet ist. Diese sollen mit der Zeit ins Bewusstsein gelangen und anschließend aufgelöst werden. Außerdem geht die Therapie von der Annahme aus, dass die Betroffenen das Bedürfnis nach Abhängigkeit auch auf die Situation in der Therapie übertragen. Dadurch kann dieses Bedürfnis dann in der Therapie weiter bearbeitet werden. Die Betroffenen sollen mit der Zeit immer mehr in der Lage sein, ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Stärken besser wahrzunehmen. Dadurch sollen sie auch die Furcht vor dem Verlust ihrer Bezugspersonen verlieren.
Gruppentherapie
Eine Gruppentherapie kann bei dieser Störung sehr erfolgreich sein. Durch die Interaktion mit anderen Betroffenen kann die Erfahrung geteilt werden, dass es auch andere mit den gleichen Problemen gibt. Dadurch können sich die Teilnehmer gegenseitig unterstützen. Die Gruppentherapie bietet ein sicheres Umfeld, in dem neu erlernte Handlungswege und selbstsicheres Verhalten ausprobiert werden kann. Zusätzlich können fortgeschrittene Teilnehmer anderen Betroffenen vormachen, wie das Auftreten selbstsicherer werden kann. Das Gleiche gilt für ein angemesseneres Ausdrücken der Gefühle oder der Umgang mit den eigenen Problemen des Alltags. Eine positive Erfahrung kann dann zu einer Bestärkung des Patienten über den eingeschlagenen Weg führen.
Auftretende Probleme in der Therapie der abhängigen Persönlichkeitsstörung
Auf der einen Seite kooperieren Betroffene zwar gut mit dem Therapeuten, auf der anderen Seite verhalten sie sich aber auch sehr passiv. Sie wollen keine Verantwortung für die Veränderung übernehmen und diese lieber dem Therapeuten überlassen. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit in der Therapie zu verstärken. Dabei kann es oft Sinn ergeben, die Betroffene äußerst behutsam und vorsichtig über ihr abhängiges Verhalten und die daraus resultierenden Probleme aufzuklären. Darauffolgend können dann verschiedene Veränderungen eingeleitet werden, die dann zu mehr Autonomie führen.
Darüber hinaus kann es häufig sein, dass nahe Bezugspersonen das abhängige Verhalten unbewusst aufrechterhalten und fördern. Es kann beispielsweise sein, dass die Eltern oder der Ehepartner dem Betroffenen die Verantwortung oder Entscheidungen abnehmen. So tragen sie dazu bei, dass das dependente Verhalten beibehalten wird. Deshalb sollten auch die Bezugspersonen in die Therapie mit einbezogen werden.
Der Therapieansatz mit Psychopharmaka
In manchem Fällen kann es sinnvoll sein, dass der Betroffene zusätzlich zur Psychotherapie auch noch Antidepressiva einnimmt. Das ist insbesondere der Fall, wenn gleichzeitig noch eine Depression besteht. Bei einer gleichzeitig bestehenden Angststörung können außerdem noch Neuroleptika zum Einsatz kommen. Allerdings lässt sich durch die alleinige Einnahme von Medikamenten meist keine tief greifende Veränderung erzielen, weshalb eine Kombination von Psychotherapie und medikamentöser Therapie vorzuziehen ist.
Fazit zur abhängigen Persönlichkeitsstörung
Die Persönlichkeitsstörung ist durch ein starkes Bedürfnis nach Unterstützung und Hilfe von anderen gekennzeichnet. Betroffene zeigen klammerndes Verhalten und haben starke Trennungsängste. Sie wird häufig von anderen psychischen Krankheiten wie Depressionen begleitet. Ihr Entstehen ist durch ein Zusammenspiel von biologischen, psychischen und Umweltfaktoren bedingt. Die Persönlichkeitsstörung kann mithilfe einer Psychotherapie häufig erfolgreich therapiert werden. Die Therapie stützt sich insbesondere auf die Aufklärung der Betroffenen und den Aufbau von Selbstständigkeit und Autonomie. Außerdem kann sie auch nahestehende Personen miteinbeziehen. Manchmal kann eine zusätzliche Gabe von Medikamenten sinnvoll sein, wenn weitere psychische Krankheiten bestehen.