„Carpe Diem“, „Das Leben genießen“ solche oder ähnliche Lebenseinstellungen haben viele Menschen oder streben sie an. Das zeigt sich auch an einer Zunahme an Wellnessangeboten, Genussreisen, kulinarischen Speisen und anderen immer exquisiteren Genussangeboten.
Noch nie, so scheint es, haben wir so viel über die Möglichkeiten von Genuss und Lebensfreude nachgedacht und gesprochen – und (er)leben im Alltag doch meist so wenig davon. Anstelle dessen sind wir oft rastlos und beschäftigt. Wir rennen von einem Termin zum nächsten, konsumieren Fastfood etc. An Genuss ist da nicht zu denken.
Stress, Zeitdruck und Hektik ist nicht gerade genussförderlich. Tatsächlich wissen wir das auch und wir versuchen, dem in unserer Freizeit entgegenzusteuern, einen Wellness-Urlaub einzuplanen, am Feierabend einfach mal nichts tun oder ähnliches. Oft enden diese Versuche aber eher vor dem Fernseher und weniger in besonderen, freudvollen Genussmomenten – in dem Bemühen, abzuschalten und sich abzulenken.
Aber wie gelingt es uns tatsächliche Momente der Lebensfreude und des Genusses in unserem Leben zu etablieren – und das am besten nicht nur am Feierabend oder im Urlaub, sondern in alltäglichen Situationen, um jeden Tag und immer wieder „zwischendurch“ aufzutanken?
In diesem Artikel können Sie eine Antwort darauf finden. Dazu gehe ich den Fragen nach, was Genuss eigentlich ist, was diesen von der Sucht abgrenzt, welche Ergebnisse der Genussforschung vorliegen und wie wir vom Unglücklichsein zurück zur Lebensfreude kommen. Zum Schluss finden Sie eine Übersicht zum Genusstraining als Behandlungsmethode und einige Tipps für mehr Genuss in Ihrem Leben, die Sie ganz leicht selbst umsetzen können.
Was ist Genuss?
Genuss ist sinnliches Erleben, das zu unserem Wohlbehagen beiträgt. Das Gegenteil davon ist die Askese, ein bewusster Verzicht und Vermeidung von Genuss, bzw. Ekel, Dinge als abstoßend und ungenießbar zu empfinden.
Dabei sind die Quellen für Genuss sehr vielfältig und individuell. Eine Studie konnte vier Arten von Genießer-Typen unter den Teilnehmenden identifizieren:
- Couchgenießer (36 %): Menschen, die hauptsächlich allein, im privaten Rahmen genießen
- Geschmacksgenießer (27 %): Genuss von gutem Essen, meist außerhalb des eigenen Zuhauses
- Erlebnisgenießer (17 %): Bevorzugung von Aktivitäten und teilweise teuren Freizeitvergnügen
- Alltagsgenießer (17 %): Genießen die kleinen Dinge des Alltags
Um von Genuss sprechen zu können, müssen drei Eigenschaften bzw. Komponenten erfüllt sein. Genuss ist:
- lustvoll: ein Gefühl von Wohlbehagen, in Verbindung mit positiv empfundenem Erleben und Handeln.
- sinnlich: unsere Sinneseindrücke und deren bewusste Wahrnehmung sind Voraussetzung für Genuss
- gedanklich: Genuss erfordert Reflexion, Bewusstheit, Aufmerksamkeit und Konzentration.
Das alles zusammengenommen bedeutet, dass Genuss nicht einfach da ist, sondern sich erst einstellt, wenn wir entsprechend handeln und ihm Raum geben. Es benötigt nicht nur ein Sich-Aussetzen, sondern auch ein Sich-darauf-einlassen, bewusste Wahrnehmung und ein Auskosten der positiven Emotion. Er hat damit viel mit einem achtsamen Lebensstil gemeinsam.
Genuss ist mit positiven Emotionen verknüpft und ist damit Bestandteil einer gesunden Selbstfürsorge und der körperlichen und psychischen Gesundheit. Zudem kann Genuss und sinnliches Leben zu einem sinnvollen Leben beitragen.
Genuss in Abgrenzung zur Sucht
Genuss ist mehr als nur Konsumieren. Es grenzt sich davon ab, weil Menschen, die genießen, ihren Umgang mit Lust steuern können. Durch diese Regulation entsteht aus Lust Genuss.
Genuss und Sucht sind zwei verwandte Phänomene. Da manche Suchtmittel wie Nikotin, Koffein und Alkohol bereits zu sozial verträglichen, sogar erwünschten Substanzen geworden sind, ist der Übergang zwischen Genuss und Sucht oft nicht mehr so offensichtlich. Auch Süchtige „genießen“ Substanzen – für den Moment.
Jedoch gibt es einen grundlegenden Unterschied: Anders als bei tatsächlichem Genuss ist bei der Sucht die Möglichkeit der Konsumkontrolle und des Bedürfnisaufschubs nicht mehr gegeben. Süchtige brauchen ihre Substanz am besten sofort. Wenn ein Konsum nicht möglich ist, entsteht ein großer Leidensdruck.
Auch eine Toleranzbildung gegenüber der Substanz ist möglich, das heißt Süchtige brauchen immer mehr derselben Substanz, um den gleichen Effekt zu erreichen. Beim Genießen ist das anders: Auch wenn ich schon hundertmal eine Tasse Kaffee genossen habe, kann ich mich immer noch daran erfreuen, ihn genießen – es sei denn, ich trinke ihn nur wegen der Wirkung des Koffeins und bin damit bereits ein Koffeinsüchtiger geworden.
Ergebnisse der Genussforschung
Die Genussforschung ist Teil der Positiven Psychologie und befasst sich mit den verschiedenen Facetten von Genuss und den Auswirkungen auf unser Wohlbefinden und unsere (psychische) Gesundheit.
Bisher konnte nachgewiesen werden, dass das bewusste Genießen und Auskosten (engl. savoring) von positiven Emotionen ein Gegenpol zu Stress bildet und damit bei der Stressbewältigung helfen kann. Außerdem kann durch Genuss unser Leben Sinn und Bedeutung gewinnen, indem wir Erfahrungen als wertvoll und einzigartig schätzen lernen und dafür dankbar sind.
Durch den Ansatz des Auskostens bzw. des Savorings, konnte zudem eine Differenzierung von Genuss vorgenommen werden:
- Hinsichtlich der Wahrnehmung äußerer oder innerer Genussquellen: z.B. der nächtliche Sternenhimmel bzw. stolz zu sein auf sich selbst nach einem Erfolgserlebnis
- Hinsichtlich kognitiver oder emotionaler Genussmomente: z.B. dankbar zu sein für ein gutes Gespräch bzw. Gefühl von Faszination und Überwältigung bei der Betrachtung eines Sonnenuntergangs
- Hinsichtlich der Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: obwohl sich Genuss hauptsächlich im Hier und Jetzt abspielt, können wir in Erinnerungen schwelgen oder Zukunftspläne schmieden und dabei Vorfreude empfinden.
Forscher legten das Hauptaugenmerk auf vier Genussarten, eine Kombination äußerer oder innerer Genusswahrnehmung in Verbindung mit einer kognitiven oder emotionalen Genussreaktion. Hier ein kurzer Überblick dazu:
- Dankbar sein: Genuss entsteht aus der Erfahrung einer Wahrnehmung im Außen, die kognitiv erfassbar, also auch in Worte zu fassen ist.
- Stolz sein: Genuss als Erfahrung einer inneren Wahrnehmung, in Bezug auf einen bewussten Erfolg oder eine gute Leistung
- Staunen, Faszination: Genuss einer Wahrnehmung im Außen, die uns vor allem emotional bewegt in Gefühlen von Ehrfurcht, Überwältigung und Freude.
- Sinnlich genießen: bei dieser Art von Genuss richten wir unsere Wahrnehmung nach innen und spüren unseren Gefühlen nach.
Alle genannten Arten von Genuss brauchen als Voraussetzung ein gewisses Maß von Achtsamkeit, um unsere Wahrnehmungen (im Innen oder Außen) überhaupt wahrzunehmen und darauf zu reagieren (kognitiv oder emotional).
Weg vom Unglücklichsein, zurück zur Lebensfreude
Das folgende Kapitel beschäftigt sich damit, wie Sie es schaffen, das Leben zu genießen und zurück zur Lebensfreude zu gelangen, wenn Sie momentan eher erschöpft, ausgelaugt, unglücklich und niedergeschlagen sind. Sie können darin einige Tipps finden, wie sie vom Unglücklichsein zurück zur Lebensfreude finden.
Zunächst einmal rate ich Ihnen zu einem Perspektivenwechsel: Konzentrieren Sie sich auf das Positive in Ihrem Leben. Wenn Sie erstmal nichts finden, denken Sie genau darüber nach, suchen Sie danach und seien Sie dankbar dafür. Dieser Perspektivenwechsel kann eine Trendumkehr in Ihrem Leben bewirken, denn: Positives zieht Positives an. Das heißt nicht, dass Sie sich alles schönreden sollen, sondern dass Sie auch das Gute wieder wahrnehmen lernen und sich dadurch motivieren.
Außerdem hilft es, sich mit positiven Menschen zu umgeben. Das können Freunde sein, die Sie ermutigen, trösten und aufbauen, oder der Partner. Suchen Sie sich Kontakte und Möglichkeiten des Austausches. Hier können auch andere Kanäle wie das Internet, z.B. bestimmte Chat-Foren, hilfreich sein. Meistens reicht eine Vertrauensperson aus. Es sollte sich jedoch um jemanden handeln, mit dem Sie eine gesunde Beziehung pflegen, die in die Tiefe geht, wo Sie offen und vertrauensvoll sein können.
Wege zu mehr Kraft, Orientierung und Sinn und raus aus der Depression sind prinzipiell alle, die Ihren Glückshormon-Haushalt wieder in Schwung bringen und damit zurück ins Gleichgewicht. Dabei kann z.B. Bewegung helfen, wenn möglich eine halbe Stunde pro Tag Sonne zu tanken, Entspannungstechniken etc. Vermeiden Sie außerdem Stress und nehmen Sie sich, wenn möglich, eine Auszeit. Lassen Sie alle hochkommenden Gedanken und Gefühle zu und schreiben Sie diese auf. Diese Notizen können für die Zeit danach, für die eigene Klarheit und Reflexion, für eine eventuelle Therapie und Ihr Heil-werden sehr hilfreich sein.
Setzen Sie sich außerdem konkrete Ziele, was Sie in Ihrem Leben ändern wollen. Diese sollten messbar und machbar sein. Wenn Sie diese angehen und umsetzen, wertschätzen Sie sich selbst dafür und feiern Sie auch die kleinen Erfolge.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie auf diese Weise zurück zur Lebensfreude und zum Genuss des Lebens finden. Denn: Lebensfreude ist der Indikator für psychische Gesundheit und Wohlbefinden. Und nur seelisch gesunde Menschen können genießen.
Deshalb soll es im folgenden Kapitel darum gehen, wie wir unsere Genussfähigkeit steigern können.
Genusstraining: Steigerung der Genussfähigkeit
Zu genießen, ist eine spezifisch menschliche Fähigkeit, die in jedem grundgelegt ist. Wir sind dazu in der Lage, da wir nicht nur Lust empfinden können, sondern uns (sinnlich) bewusst darauf einlassen und (reflexiv) darüber nachdenken können – entsprechend den drei Komponenten des Genusses.
In bestimmten Fällen von psychischen Erkrankungen, z.B. bei Essstörungen oder Depressionen, aber auch bei anderen, kann es zu einem Verlust der Genussfähigkeit kommen. Betroffene leiden darunter, positive Erlebnisse, Verhaltensweisen, Ereignisse oder eigene Ressourcen nicht mehr wahrzunehmen oder wertzuschätzen. Die Aufmerksamkeit wird stattdessen nur noch auf negatives gelenkt und ein verstärktes Ausmaß von negativen Gedanken und Gefühlen sind die Folge.
Zur Wiedererlangung der Genussfähigkeit wird dann ein sog. Genusstraining angewandt. Beim Genusstraining handelt es sich um Behandlungsmaßnahmen, die die Genussfähigkeit wieder steigern sollen. Dabei werden Verhaltensweisen im Umgang mit positiven Reizen neu eingeübt, beispielsweise die Aufmerksamkeitssteuerung, Differenzierung von Sinneswahrnehmungen, Aufbau von genussvollen Verhaltens- und Lebensweisen und Lebensregeln. Letztere bedeuten, dass sich Betroffene wieder zugestehen müssen, dass Genuss erlaubt ist, und sie es wert sind, zu genießen.
Die Behandlungsziele sind dabei unter anderem:
- Verbesserung der Selbstwahrnehmung und der Körperwahrnehmung,
- Veränderung negativer Kognitionen,
- Etablierung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen durch den Einsatz von positiven Verstärkern,
- Hilfe bei der Krisenbewältigung und
- Entspannung.
Zudem geht es beim Genusstraining um die Vermittlung eines Verständnisses dafür, dass Genuss eine besondere Fähigkeit des Menschen ist, der auch einen Wert an sich hat und zur Lebensfreude beiträgt.
Die 7 Regeln des Genusses
Der Psychologe Rainer Lutz schrieb in seinem Buch „Genuss und Genießen: Zur Psychologie des genussvollen Erlebens und Handelns“ bereits in den 80er Jahren über die sieben Regeln des Genusses. Diese möchte ich hier kurz vorstellen, weil sie uns helfen können, Genuss besser zu verstehen und Genussmomente (wieder) in unseren Alltag zu integrieren.
- Genuss braucht Zeit: Nehmen Sie sich gezielt Zeit für Momente des Genießens und planen Sie diese auch im Vorhinein ein.
- Genuss muss erlaubt sein: Menschen haben oft ein schlechtes Gewissen beim Genießen, weil sie sich selbst das Gute nicht zugestehen oder meinen, bescheiden sein zu müssen oder es nicht wert zu sein. Tun Sie sich selbst etwas Gutes ohne Hemmungen
- Genuss geht nicht nebenbei: Genuss erfordert unsere gesamte Aufmerksamkeit und Konzentration, unser Da-Sein im Hier und Jetzt.
- Wissen, was einem gut tut: Fragen Sie sich „Was ist schön für mich? Worüber freue ich mich?“ und finden Sie heraus, was Ihnen gefällt.
- Weniger ist mehr: Nicht die Menge, sondern die Qualität ist entscheidend für genussvolle Momente. Selbst vom besten Essen kann es uns zu viel werden.
- Ohne Erfahrungen kein Genuss: Alle unsere fünf Sinne sind beim Genuss beteiligt. Wenn wir diese schulen, wird das Genießen einfacher und es gelingt uns häufiger.
- Genuss ist alltäglich: Wir meinen häufig, dass Genuss in besonderen Momenten erleben zu können. Wir können aber auch die kleinen Dinge des Alltags genießen, wenn wir uns dafür öffnen und darauf einlassen.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen zudem noch einen persönlichen Tipp weitergeben: Machen Sie auch anderen Menschen hin und wieder eine kleine Freude. Lebensfreude zu teilen und selbst etwas zu schenken (sei es materiell oder immateriell), steigert die eigene Freude nämlich genauso. Wir freuen uns mit dem anderen mit. Das lässt auch das Gefühl von Verbundenheit und Nähe wachsen, was ebenfalls eine Quelle für unser Wohlbefinden und Lebensfreude ist.
Fazit
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit dem Artikel, Informationen und neue Erkenntnisse zum Thema Lebensfreude und Genuss vermitteln konnte.
Achten Sie bei all dem darauf, dass Sie alle Ebenen Ihres Seins, also Körper Geist und Seele, ins Genießen miteinbeziehen und sie so ausgeglichen halten.
Nur gutes Essen allein wird auf Dauer keinen Genuss mehr hervorrufen und Sie nicht glücklich machen. Hin und wieder ist es vielleicht angezeigt, auch Ihren Geist zu nähren, z.B. in Form eines guten Buches oder eines Theaterbesuches. Auch unsere Seele, die spirituellen Bedürfnisse in uns, sind Teil unserer Existenz und sollten deshalb in unserem Leben Beachtung finden.
Auf diese Weise werden wir in unserem Ganzen Sein erfüllt von Lebensfreude und wir können sie dann auch an andere weitergeben.
Das wünsche ich Ihnen von Herzen!