Jährlich werden in Österreich über 1000 Suizide verübt, umgerechnet ca. 13 pro 100 000 Einwohner. Suizid ist damit für dreimal so viele Sterbefälle verantwortlich wie Verkehrsunfälle. Auf jeden Suizid kommen zudem geschätzte 10 bis 20-mal so viele Suizidversuche.
Und trotzdem ist Suizid immer noch ein Tabu-Thema, über das wenig bis gar nicht gesprochen wird. Wenn überhaupt hören wir nur am Rande von Betroffenen oder Angehörigen darüber, da das Thema mit großer Scham und Stigmatisierung verbunden ist.
Ein Bewusstsein über Suizidalität ist jedoch hilfreich für einen guten Umgang damit – für sich selbst und wenn Sie jemanden kennen, der betroffen ist und den Sie gerne unterstützen möchten.
In diesem Artikel möchten wir deshalb darauf eingehen, was Suizidalität und Suizid ist, was die Gründe und Ursachen dafür sind, wie sich Suizidalität entwickelt, welche Anzeichen es dafür gibt, was (auf neuronaler Ebene) in suizidalen Personen vorgeht und wie eine Behandlung aussehen kann. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, sind Sie hier richtig.
Was ist Suizid und Suizidalität?
Der Begriff Suizid (vom lat. sui caedere, übersetzt: sich selbst töten) meint den freiwilligen, bewussten Akt der Beendigung des eigenen Lebens. Umgangssprachlich werden auch die Begriffe Selbstmord und Freitod verwendet – Formulierungen, die aber missverständlich und irreführend sein können und deshalb in der Fachsprache vermieden werden.
Suizidalität ist ein Sammelbegriff für alle mit dem Suizid in Verbindung stehenden Handlungen und Gedanken. Es umfasst also sowohl den Suizid selbst, Suizidversuche, Suizidpläne und -absichten und Suizidgedanken.
Ursachen, Gründe und Risikofaktoren für Suizidalität
Es ist wichtig, die Ursachen, Gründe und Risikofaktoren für Suizidalität zu kennen und zu verstehen, um besser handeln und helfen zu können. Auf diese Weise funktioniert Suizidprävention.
Die Ursachen für Suizidalität sind unter anderem:
- Psychische Erkrankungen (wie Depression oder Süchte)
- Zwischenmenschliche Enttäuschungen
- Trennung oder Verlust von nahestehenden Personen
- Versagensgefühle
- Gefühl von Sinnlosigkeit bzw. der Verfehlung von Lebenszielen
Die Gründe für Suizidalität sind vielfältig. Betroffene möchten damit z.B.:
- Vor der als bedrohlich bzw. belastend empfundenen Lebenssituation fliehen
- Vor negativen Gefühlen und anhaltenden inneren Zuständen fliehen
- einen Hilferuf senden
- versuche, ein Problem zu lösen
- Ruhe, eine Pause oder Unterbrechung von einer ausweglos empfundenen Situation
Nur in seltenen Fällen steht hinter der Suizidalität also tatsächlich der Wunsch nach dem Tod.
Es konnten zudem auch einige Risikofaktoren identifiziert werden, die nicht direkt in ursächlichem Zusammenhang zu Suizidalität stehen, jedoch mit einem erhöhten Risiko dafür in Verbindung gebracht werden konnten. Dazu gehören:
- Armut, finanzielle Sorgen und Existenzängste
- Arbeitslosigkeit
- Suizide oder Suizidversuche in der Familie
- Eigene Suizidversuche in der Vergangenheit
- Gewalt- und Missbrauchserfahrungen
- Zunehmendes Alter
- Einsamkeit, soziale Isolation
- Chronische körperliche Erkrankungen, v.a. Schmerzerkrankungen
- Männliches Geschlecht
Anzeichen und Warnsignale für Suizidalität
In diesem Kapitel möchten wir einen Überblick über mögliche Anzeichen bei Suizidalität und Warnsignal bei akut suizidalen Personen geben. Einzelne Anzeichen sind wahrscheinlich noch kein Hinweis für Suizidalität. Wenn sich diese jedoch häufen oder Sie ein Gefühl haben, dass eine Suizidalität vorliegen könnte, und Sie helfen möchten, scheuen Sie sich nicht nachzufragen und sich für ein Gespräch anzubieten.
Bleiben Sie dabei ruhig und nehmen Sie die geschilderten Probleme und den Leidensdruck ernst. In der Regel erleichtert es Betroffene, über ihre Gedanken reden zu können. Vielleicht ist auf diese Weise eine Distanzierung möglich und Sie können gemeinsam nach einer Lösung und (professionelle) Unterstützungsmöglichkeiten suchen.
Geben Sie also acht auf Signale, wie:
- Suizidankündigungen (bei 80% der Fall)
- Konkret bzw. explizit: in Form von Zeichnungen, mündlich oder schriftlich
- Indirekt: z.B. „Ich habe keinen Grund mehr zu leben.“ „Es wäre für alle besser, wenn ich nicht mehr da bin.“ „Ich bin doch nur eine Last.“ „Am liebsten wäre ich nicht mehr da.“ „Das macht alles keinen Sinn mehr.“ „Ich kann nicht mehr.“ o.Ä.
- Vorbereitende Handlungen: z.B. Tabletten sammeln, Beschaffung von Suizidmitteln, Recherche nach Suizidmethoden, Testament schreiben
- Persönliche Dinge und/oder Haustiere verschenken und weggeben
- Sozialer Rückzug aus vorher wichtigen Beziehungen (eventuell plötzlich und ohne Grund)
- Gleichgültigkeit und Infragestellung der eigenen Werte
- Risikobereites Verhalten, das auch tödlich enden kann
Je konkreter die Suizidabsichten und -pläne zur Ausführung sind, desto akuter ist die Suizidalität bereits fortgeschritten und desto gefährdeter ist die Person. Dies ist anhand der folgenden Warnsignale erkennbar:
- Festhalten an Suizidabsichten trotz Gesprächen und Hilfsangeboten
- Drängende Suizidgedanken (inklusive Pläne) vorhanden
- Starke Hoffnungslosigkeit
- Kürzlicher starker Rückzug aus dem sozialen Netzwerk
- Akute psychotische Episode
- Bereits Suizidversuch(e) unternommen
In diesem Fall ist es wichtig, dem Betroffenen ein Gespräch und Hilfe anzubieten. Versuchen Sie jedoch nicht, das Problem allein zu lösen, sondern ziehen Sie professionelle Hilfe hinzu. Begleiten Sie die Person z.B. zu einer psychiatrischen Ambulanz oder wählen Sie im Akutfall sofort den Notruf. Lassen Sie den Betroffenen in diesem Fall unter keinen Umständen allein!
Verlauf von Suizidalität
Vielen Suiziden geht eine längere Entwicklung voraus. Meist durchlaufen Betroffene eine schwere und/ oder langanhaltende Krise, die mit starker Hoffnungslosigkeit einhergeht.
Die Merkmale des sogenannten Präsuizidalen Syndroms (nach dem Psychiater Erwin Ringel) von Einengung, Aggression und Flucht in eine Phantasiewelt nehmen dabei ständig zu. Das heißt die Gedanken drehen immer mehr um die ausweglose Situation, aggressive Tendenzen und Wut werden gegen die eigene Person gerichtet und Phantasien, wie der eigene Suizid aussehen könnte, werden immer detaillierter.
Der österreichische Psychiater Walter Pöldinger beschreibt in seinem Modell zum Verlauf von Suizidalität drei Stadien:
1. Erwägung
In der ersten Phase sind die Anzeichen für die Suizidalität oft noch versteckt und für Außenstehende schwer zu erkennen. Meist treten wiederholte suizidale Gedanken und sozialer Rückzug auf. Die Betroffenen sind aber noch zur Selbststeuerung fähig, das heißt sie können sich aber noch von ihren suizidalen Gedanken distanzieren.
2. Ambivalenz
Die zweite Phase ist von einer reduzierten Selbststeuerungsfähigkeit gekennzeichnet, Betroffene sind also nicht mehr fähig, sich von ihren suizidalen Gedanken zu distanzieren und ihre Gedanken kreisen immer stärker um den Suizid. Andere Lösungsmöglichkeiten sind kaum mehr vorstellbar. Es kommt zu einer Art innerem Kampf zwischen Selbsterhaltung und Selbsttötung.
3. Entschluss
In der dritten und letzten Phase ist die Selbststeuerung vollständig ausgesetzt. Die Entscheidung zum Suizid ist getroffen und es werden konkrete Vorbereitungen dafür getroffen. Durch den gefassten Entschluss wirken die Betroffenen häufig gelöst und entspannt, was nach außen wie eine Verbesserung der psychischen Verfassung aussieht. Es handelt sich aber eher um die „Ruhe vor dem Sturm“.
Den Reaktionen der Umwelt kommt während der Entwicklungsphasen der Suizidalität eine besondere Bedeutung zu. Wenn Sie sich Sorgen um einen Menschen machen, scheuen Sie sich nicht nachzufragen, ein Gespräch anzubieten und auf (professionelle) Hilfsangebote hinzuweisen.
Neuronale Abläufe: Was in Betroffenen vorgeht
Während der Entwicklung der Suizidalität werden die Betroffenen von starken negativen und widersprüchlichen Gefühlen gequält. Die Situation erscheint ausweglos, ohne Hoffnung und Sinn.
Solche Krisenzeiten sind begleitet von einem starken seelischen Schmerz, welcher (ähnlich einem körperlichen Schmerz) einen Alarmzustand im Körper auslöst. Der Präfrontale Cortex, der Teil des Gehirns, der für das rationale Überlegen und Problemlösen zuständig ist, wird in seiner Aktivität gehemmt. Stattdessen sind verstärkt Teile des limbischen Systems aktiv, die für die Stress- und Angstverarbeitung verantwortlich sind.
Betroffene geraten dadurch immer mehr in eine Art Tunnelblick. Längerfristige Pläne und die guten Seiten des Lebens sind in diesem Zustand nur schwer wahrnehmbar. Es scheint so, als würde es keinen anderen Ausweg geben, als sich das Leben zu nehmen. Geht es der Person besser, kann sie sich diesen Ausnahmezustand im Nachhinein oft selbst nicht erklären.
Langfristig verschiebt sich auch das Gleichgewicht der ausgeschütteten Transmitter im synaptischen Spalt. Der Spiegel des Glückshormons Serotonin sinkt und fällt schließlich unter eine kritische Marke, was Suizidgedanken sehr wahrscheinlich macht.
Sind in einer Krise allerdings schon einmal Selbstmordgedanken da gewesen oder es kam sogar schon einmal zu einem Suizidversuch, ist diese Art der «Problemlösung» bereits im Gehirn vorhanden und gespeichert. Das Notprogramm «Suizid ist die einzige Lösung» wird dann umso wahrscheinlicher bei der nächsten schweren Krise wieder aktiviert. Deshalb sind Menschen, die bereits einen Suizidversuch hinter sich haben, besonders gefährdet- egal wie lange dieser bereits zurückliegt.
Behandlung suizidaler Menschen
Suizidale Menschen können in einer Psychotherapie hilfreiche Impulse und alternative Handlungsmöglichkeiten finden und erfolgreich behandelt werden.
Zunächst kann jedoch eine beruhigende, dämpfende oder angstlösende Medikation notwendig sein, die die Einengung und den neuronalen Ausnahmezustand der Betroffenen zu reduzieren und/oder eine zugrundeliegende psychische Erkrankung zu behandeln. So wird gewährleistet, dass Betroffene zum psychotherapeutischen Gespräch und der Entdeckung alternativer Lösungsmöglichkeiten fähig sind und sich aktiv daran beteiligen können.
Weitere wichtige Elemente der Behandlung sind:
- Ausschalten anderer Risikofaktoren: z.B. problematische soziale Kontakte oder Drogenkonsum
- Eine engmaschige Überwachung des Patienten: so wird sichergestellt, so dass kein (weiterer) Suizidversuch unternommen werden kann.
- Abschluss eines Nicht-Suizid-Vertrags mit dem Patienten: In diesem erklärt der Patient, sich während der Therapie nichts anzutun und sich auf die Behandlung einzulassen. Er soll das Vertrauensverhältnis und die Bereitschaft des Patienten, aktiv an der Behandlung mitzuwirken, stärken.
- konkrete Strukturierungshilfen für den Alltag: z.B. in Form von gemeinsam erarbeiteten Tagesplänen, Unterstützung bei der Jobsuche oder Angebot einer Arbeitstherapie.
- Verhaltenstrainings: zur Emotionsregulation und Konfliktbewältigung, sowie zur sozialen Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit als ergänzendes Angebot zur Therapie.
- Kognitive Therapieverfahren: diese zielen darauf ab, den dysfunktionale Denkstile (Hoffnungslosigkeit, Selbstabwertung, Grübeln und negativer Zukunftsbewertung) zu verändern.
- Einbindung von Angehörigen oder engen Freunden in die Therapie.
- Motivierende Gesprächsführung: Hinterfragung und Erörterung der Gründe für das Sterben und Bewusstmachung bzw. Findung von Gründen für das Leben.
Fazit
Suizidalität ist ein komplexes Thema mit zahlreichen zugrundeliegenden Ursachen und mitwirkenden Risikofaktoren.
Wir hoffen, Ihnen einen Überblick über die Thematik verschafft haben zu können, um ein besseres Verständnis und ein neues Bewusstsein dafür zu entwickeln und um Sie zur verantwortungsvollen Unterstützung für Betroffene zu befähigen.
In jedem Fall sollten Sie auch Ihre eigenen Grenzen einhalten und nur so viel Verantwortung auf sich nehmen, wie Sie selbst tragen können. Bedenken Sie, dass Betroffene in jedem Fall professionelle Hilfe benötigen und Sie dieses Problem nicht allein lösen müssen und sollten!
Unter diesem Link finden Sie alle Krisenhotlines und Angebote des Landes für Menschen in psychischen und suizidalen Krisen. Sie können hier rund um die Uhr einen Sachverständigen erreichen. Wir ermutigen Sie, diese Unterstützungsangebote zu nutzen, sollten Sie selbst betroffen sein. Das Eingeständnis, dass Sie Unterstützung brauchen, ist kein Grund sich zu schämen – sondern im Gegenteil: Es ist ein wichtiger Schritt auf Ihrem Weg heraus aus der Suizidalität und der Krise.
Alles Gute dafür!