Die Agoraphobie ist im Volksmund häufig auch unter dem Namen Platzangst bekannt. Die Betroffenen haben extreme Angst vor Situationen, wo sie nur schwer Hilfe erhalten können oder aus denen sie im Notfall nicht fliehen können. Deshalb vermeiden sie eine Vielzahl von Situationen wie beispielsweise Menschenmengen oder Busfahrten. Je länger diese Vermeidung andauert, desto stärker bestimmt die Krankheit über ihr Leben.
Was bedeutet Agoraphobie?
Die Platzangst wird häufig mit der sogenannten Klaustrophobie verwechselt. Dabei handelt es sich um Raumangst, welche die Furcht vor engen und geschlossenen Räumen beschreibt. Generell kann Platzangst zwar auch in engen Räumen auftreten. Allerdings löst bei Agoraphobikern nicht der Raum an sich die Angst aus. Sie haben vielmehr Angst, dass sie bei einem Notfall nicht von dort entkommen können. Aus diesem Grund vermeiden Betroffene solche Situationen. Außerdem versuchen die Betroffenen Orten fernzubleiben, wo ein Rückzug peinlich auffallen würde. Das könnte beispielsweise bei einer Theatervorstellung der Fall sein. Außerdem versuchen sie in öffentlichen Räumen immer, in der Nähe des Ausgangs zu bleiben.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Phobien steht bei der Platzangst nicht ein spezielles Objekt oder eine spezielle Situation im Fokus. Sie kann an einer Vielzahl von Orten vorkommen, beispielsweise auf Brücken oder im Kino. Wenn sie nicht therapeutisch behandelt wird, so kann sie die Lebensqualität des Betroffenen sehr stark einschränken. Es kann dazu kommen, dass der Betroffene nicht mehr aus dem Haus geht oder eine Begleitung dafür benötigt.
Insgesamt sind Angststörungen ein weit verbreitetes Phänomen. Ungefähr 5 % der ganzen Bevölkerung sind mindestens einmal in ihrem Leben von Platzangst betroffen, Frauen insgesamt zweimal häufiger als Männer. Meistens leiden die Betroffenen jedoch nicht nur unter der Phobie, sondern entwickeln auch noch andere Störungen. Dazu gehören beispielsweise Depressionen oder auch Suchterkrankungen wie Alkoholabhängigkeit.
Agoraphobie in Kombination mit Panikstörung
Die Phobie tritt häufig gemeinsam mit einer Panikstörung auf. Insgesamt sind etwa die Hälfte aller Agoraphobiker auch von einer Panikstörung betroffen. Panikstörungen sind durch Panikattacken gekennzeichnet, bei denen es sich um starke Angstanfälle handelt. Diese dauern normalerweise nur einige wenige Minuten an, werden von den Betroffenen aber als extrem bedrohlich erlebt. Dabei treten nicht nur psychische, sondern auch physische Symptome auf, die die Angst verstärken.
Die Angst vor der Angst
Die Platzangst ist zentral durch die Angst vor Panikattacken oder Angstzuständen in der Öffentlichkeit gekennzeichnet. Das wird auch als “Phobophobie” oder “Angst vor der Angst” bezeichnet. Dieses Phänomen bestätigt sich selbst, da durch diese Angst vor der Angst körperliche Anspannung ausgelöst wird. Weil die Betroffenen aber ganz genau auf jede Veränderung ihres Körpers achten, nehmen sie diese Veränderungen als bedrohlich wahr. Dadurch kann aus der Kombination von psychischen und körperlichen Faktoren extreme Angst oder eben sogar eine Panikattacke entstehen.
Da die Betroffenen Angst vor ungewissen Situationen haben, planen sie alle Ereignisse und Verabredungen bis ins kleinste Detail voraus. Dabei kann die Sorge und das Grübeln vorher genauso schlimm sein, wie dann die Situation vor der sie Angst hatten.
Diagnose der Agoraphobie
Früher wurde die Platzangst nur für die Furcht vor großen Plätzen verwendet. Mittlerweile müssen nach ICD-10 mindestens zwei der folgenden vier Auslöser starke Furcht zur Folge haben oder sogar ganz vermieden werden:
- Große Menschenmengen
- Öffentliche Plätze
- Reisen, die alleine bewältigt werden müssen
- Reisen, die weit von Zuhause wegführen
Zusätzlich wird unterschieden, ob eine Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung auftritt. Im ICD-10 ist die Phobie dabei die übergeordnete Diagnose und kann dadurch mit oder ohne Panikstörung diagnostiziert werden.
Symptome der Agoraphobie
Im folgenden Abschnitt werden die häufigsten Symptome näher besprochen:
Psychische Symptome
Das zentrale Symptom der Platzangst ist die Furcht vor einer Panikattacke oder einem Ohnmachtsanfall in der Öffentlichkeit. Generell haben alle Betroffenen Angst vor großen Menschenansammlungen. Allerdings kann diese Furcht unterschiedliche Gründe haben. Bei einer reinen Platzangst ohne Panikstörung fürchten die Betroffenen sich vor peinlichen Situationen in der Öffentlichkeit. Sie befürchten beispielsweise, dass sie sich vor Angst einnässen könnten. Besteht jedoch zusätzlich eine Panikstörung so haben die Betroffenen meist weniger Angst vor der Peinlichkeit einer Panikattacke. Sie befürchten vielmehr, dass sie keine Unterstützung bekommen und deshalb in Folge der körperlichen Symptome sterben könnten.
Insgesamt besteht bei Betroffenen ein sehr großer Leidensdruck. Ihnen ist bewusst, dass ihre Ängste überzogen sind. Doch allein durch das Wissen darum kann die Angst nicht erfolgreich bekämpft werden. Das führt dazu, dass die Kraft der Angst mit der Zeit auch immer stärker wird. Das kann sogar zur Folge haben, dass die Angst schon bei der alleinigen Vorstellung der gefürchteten Situation auftritt. Zu Beginn der Phobie vermeiden die Betroffenen nur einige wenige Plätze. Später jedoch weitet sich die Angst aus und es gibt kaum noch Orte, die ihnen sicher erscheinen. Dadurch werden sie in ihrem alltäglichen Leben sehr stark eingeschränkt. So kann es sogar schwierig werden, dass sie ihrer Arbeit nachgehen. Insgesamt können die Auswirkungen sowohl das berufliche und finanzielle als auch das soziale und private Leben der Betroffenen stark einschränken. Deshalb kann die Platzangst einen gravierenden Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben.
Physische Symptome
Auch auf der körperlichen Seite gibt es viele verschiedene Symptome, die bei einer Platzangst auftreten können. Die meisten leiden jedoch mindestens unter einem der folgenden Symptome:
- Herzrasen oder Herzklopfen mit erhöhter Herzfrequenz
- Zittern
- Schweißausbrüche
- Trockener Mund
Zusätzlich gibt es noch viele andere Symptome, von denen die meisten im Brustkorb und im Bauch Bereich verortet werden.
- Beschwerden mit der Atmung
- Schmerzen oder Missempfindungen im Brustkorb
- Übelkeit oder Unwohlsein
- Schwindel- und Schwächegefühle
- Unsicherheit und Benommenheit
- Gefühl der Beklemmung
- Depersonalisation oder Derealisation (Gefühl, dass man selbst oder die Umwelt nicht real ist)
- Furcht zu sterben
- Angst die Kontrolle zu verlieren
- Furcht, verrückt zu werden
Risikofaktoren und Ursachen der Agoraphobie
Wie viele andere psychische Krankheiten auch, wird die Platzangst meist durch eine Kombination aus genetischen, psychischen und Umweltfaktoren ausgelöst. Es gibt beispielsweise Hinweise, dass eine erbliche Komponente eine Rolle spielen könnte. So haben Kinder von Eltern mit dieser Störung ein erhöhtes Risiko ebenfalls Platzangst zu entwickeln. Zusätzlich spielen die Botenstoffe des Gehirns eine Rolle. Möglicherweise sind dabei Fehlfunktionen der beiden Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin an der Entstehung beteiligt. Allerdings hängt es zu einem großen Anteil auch von den psychosozialen Faktoren ab, ob sich tatsächlich eine Störung entwickelt.
Angstsensibilität
Es gibt einige Menschen, die von Natur aus einfach ängstlicher sind als andere. Diese Menschen sind dann auch anfälliger für die Entwicklung einer Platzangst. So achten sie beispielsweise verstärkt auf die Empfindungen ihres Körpers und nehmen dann harmlose Symptome wie Herzklopfen stärker als bedrohlich wahr. Zusätzlich malen sie sich häufig auch noch katastrophale Szenarien in ihrem Kopf aus, welche die Angst und damit die körperlichen Symptome noch weiter verstärken.
Eine Platzangst entwickelt sich sehr häufig aus einer Panikattacke heraus. So erleben Betroffene an einem öffentlichen, ungefährlichen Ort starke körperliche Symptome wie Herzrasen. Diese können ursprünglich zum Beispiel durch den Genuss von Kaffee, Unterzuckerung oder andere Faktoren ausgelöst werden. Tatsächlich wird die Panikattacke aber durch die Überbewertung der körperlichen Symptome erzeugt, denn die Symptome und die Angst schaukeln sich gegenseitig immer weiter hoch. Die Betroffenen fürchten sich dann anschließend davor im Falle einer Panikattacke bestimmte Orte nicht mehr rechtzeitig verlassen zu können. Diese oben beschriebene Angst vor der Angst führt dann zur Entwicklung der Phobie.
Belastende Ereignisse als Ursache
Ein weiterer Faktor sind belastende Lebensereignisse. Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Platzangst. So haben Betroffene oft schon in der frühesten Kindheit schlimme Erfahrungen durchlebt. Das kann beispielsweise der Tod eines Elternteils oder die Scheidung der Eltern sein. Ebenso können Krankheit oder Missbrauchserfahrungen in einer Angststörung resultieren. Aber auch bei Erwachsenen können Belastungen zu der Entwicklung beitragen. Alleinstehende sind meist häufiger betroffen, als Menschen die in einer Partnerschaft leben.
Psychologische Faktoren
Betroffene vermeiden unbekannte Orte, da sie insbesondere das Gefühl fürchten, die körperlichen Reaktionen während einer Furchtreaktion nicht kontrollieren zu können. Deshalb fürchten sie sich davor, einer fremden Situation oder fremden Menschen ohne Hilfe ausgeliefert zu sein.
Therapie der Agoraphobie
Ohne eine Behandlung weist die Krankheit meist einen chronischen Verlauf auf. Generell gilt, je früher die Therapie stattfindet, desto erfolgversprechender ist diese. Nur in ganz seltenen Fällen verschwindet die Störung ohne Therapie. Außerdem steigt mit andauernder Störung die Wahrscheinlichkeit auch andere Probleme wie eine Depression zu entwickeln. Grundsätzlich verläuft die Phobie häufig in Phasen. So können auch nach einem längerem symptomfreien Zeitraum wieder Probleme auftreten.
Für die Behandlung wird meistens die Psychotherapie, manchmal in Kombination mit Medikamenten eingesetzt. Dabei kommt meistens die kognitive Verhaltenstherapie zum Einsatz. Als Alternative gilt die psychodynamische Therapie.
Kognitive Verhaltenstherapie
Die kognitive Verhaltenstherapie beschäftigt sich insbesondere mit den übersteigerten Ängsten und den Vermeidungsstrategien der Betroffenen. Damit die Therapie erfolgreich ist, muss der Betroffene intensiv an seinen Ängsten arbeiten und sich mit diesen auseinandersetzen.
Dabei wird häufig die sogenannte Konfrontationstherapie genutzt, wobei die Betroffenen den angstbesetzten Orten und Situationen ausgesetzt werden. Das wird als Exposition bezeichnet. Nach der Exposition berichten die Betroffenen von ihren Symptomen und können so erleben, dass beispielsweise Herzrasen nicht lebensgefährlich ist und nach einer Weile wieder abklingt. Dadurch wird dem Patienten bewusst gemacht, dass nicht die Situation das Schlimme ist, sondern seine Angst vor der Angst.
Den Betroffenen wird außerdem beigebracht, ihre Gedanken genau zu beobachten und dadurch irrationale Ängste zu erkennen. Denn der Schweregrad der Störung hängt nicht mit der Stärke der Angstsymptome zusammen, sondern mit der Einstufung von deren Gefährlichkeit durch die Betroffenen. Deshalb ist das Überprüfen und die Korrektur von Gedanken ein wichtiger Inhalt der Therapie. Zusätzlich lernen die Betroffenen ihre körperlichen Symptome angemessen zu interpretieren. Dadurch soll die Angst vor der Angst überwunden werden.
Psychodynamische Psychotherapie
Bei der Psychodynamik wird davon ausgegangen, dass der Angst ein ungelöster Konflikt zugrunde liegt. Um die Angst zu bewältigen, muss dieser Konflikt zunächst einmal erkannt und anschließend verarbeitet werden. Bei dem Konflikt kann es sich beispielsweise um eine Trennung oder unterdrückten Ärger handeln. Der Therapeut möchte dem Betroffenen die unbewussten Vorgänge deutlich machen, sodass diese erkannt und bearbeitet werden können.
Medikamentöse Therapie
Wie bei anderen Angsterkrankungen kann auch die Platzangst mithilfe von Medikamenten behandelt werden. Allerdings helfen diese nur gegen die Symptome und heilen nicht die Krankheit. Dabei kommen insbesondere Anxiolytika (Angstauflöser), Trizyklische Antidepressiva und SSRIs (Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer) zum Einsatz.
Angehörige und Freunde
Die Bezugspersonen von Angstpatienten sind immer auch mitbetroffen. So sind zum Beispiel normale gemeinsame Unternehmungen wie Reisen oder ein Kinobesuch mit den Betroffenen nicht möglich.
Außerdem haben die Bezugspersonen oft eine aufrechterhaltende Funktion. Sie helfen der betroffenen Person dabei ihren Alltag zu meistern, indem sie beispielsweise zum Einkaufen begleiten. Das kann zwar kurzfristig entlastend wirken, erhält aber langfristig die Krankheit aufrecht.
Deshalb ist es wichtig, dass auch Angehörige und Freunde gut über die Krankheit Bescheid wissen. Dadurch können sie den Betroffenen und seine Reaktionen besser einschätzen. Außerdem sollten die Angehörigen sich selbst auch nicht zu stark belasten. Wenn die Erkrankung sie zu stark einschränkt, dann sollten sich auch die Angehörigen Hilfe suchen. Sie können beispielsweise einer Selbsthilfegruppe beitreten oder selbst eine Psychotherapie beginnen.
Fazit zur Agoraphobie
Die Agoraphobie ist insbesondere durch die Furcht vor Situationen gekennzeichnet, aus denen die Betroffenen nur schwer entkommen oder schlecht Hilfe erhalten können. Bei Andauern verstärkt sich die Furcht immer mehr und schränkt die Lebensqualität der Betroffenen sehr stark ein. Behandelt wird die Platzangst meist mithilfe der kognitiven Verhaltenstherapie oder der psychodynamischen Psychotherapie. Dies kann in Kombination mit Medikamenten geschehen. Zusätzlich zur Therapie wird den Betroffenen auch empfohlen, sich sportlich zu betätigen. So kann zum Beispiel eine Verbesserung der Ausdauer auch zu einer Verbesserung der Symptome beitragen. Ebenfalls kann die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für die Betroffenen eine gute Unterstützung sein.