Wir wissen seit geraumer Zeit, dass wir ohne unsere Bakterien auf Haut, Darm und so gut wie allen Schleimhäuten nicht überlebensfähig wären. Die Gesamtheit dieser mikrobiellen Partnerschaft in und auf uns nennt man kurz “Mikrobiom”, obwohl rein wissenschaftlich der korrekte Ausdruck “Mikrobiota” sein müsste. Dennoch hat sich der erste Begriff durchgesetzt und wird auch im medizinischen Bereich meist verwendet.
Der Darm und sein Mikrobiom
Was tun diese lebensnotwendigen Keime aber genau für uns? Wie vermutlich häufig angenommen, leistet unser Mikrobiom einen entscheidenden Beitrag zu unserer Verdauung, viele unserer Keime besiedeln Teile des Dünndarms, die grobe Mehrheit jedoch finden wir im Dickdarm. Diese Symbionten stellen für uns eine Vielzahl absolut lebenswichtiger Substanzen her, welche wir selbst gar nicht oder nur unzureichend herstellen können, z.B. das Glückshormon Serotonin oder das essenzielle Vitamin K. Kurz zusammengefasst dient unser Mikrobiom als:
- Barriere: Es schützt unsere Schleimhaut vor Schadstoffen und Krankheitserregern.
- Training unseres Immunsystems durch bestimmte Oberflächen und Stoffwechselprodukte.
- Anregung unserer Darmbewegung.
- Verdauungshilfe von Ballaststoffen.
- Förderung des Stoffwechsels unserer Darmschleimhaut.
- Bildung von Vitaminen und Aminosäuren.
- Einfluss auf neurologische Prozesse, unser Darm kann Botenstoffe bilden und in die Blutbahn abgeben, welche uns beeinflussen, man spricht hier von der Darm-Hirn-Achse.
Doch brauchen diese Keime auch ein ganz bestimmtes Milieu um sich wohlzufühlen und sich zu mehren. Ballaststoffe werden vor allem von Bifidobacterien, E. coli, Enterokokken und Lactobazillen zu unterschiedlichen Fettsäuren fermentiert. Dadurch entsteht nicht nur der gewünscht Säure-Basen-Haushalt in unserem Darm, sondern auch eben Fettsäuren, die für unsere Darmschleimhaut die Hauptquelle ihrer Energiegewinnung stellen.
Außerdem stimulieren diese gewünschten Mitbewohner auch unser Immunsystem, wer also häufig krank ist, sollte über seinen Darm nachdenken. Über 80% unserer gesamten Immunleistung kommt vom Darm, also ist die “Baustelle Darm” absolut alles andere als trivial. Vor allem die Diversität, also die Vielfalt, unseres Mikrobioms ist ausschlaggebend für unsere Gesundheit.
Was aber wenn dieses riesige Ökosystem gestört ist? Wie äußern sich diese Störungen und wie können sie überhaupt entstehen? Wie oft ist überhaupt Darm und Mikrobiom an scheinbar gänzlich unbeteiligten Krankheiten doch beteiligt?
Störung des Ökosystems – Ursachen
Es kann eine Vielzahl an Ursachen geben, warum unser Mikrobiom sich nicht wohl fühlt, die häufigsten sind jedoch:
- Falsche, v.a. einseitige Ernährung die nur mangelhaft Stoffe beinhaltet, meist zu wenig Ballaststoffe, welche unsere gewünschten Mitbewohner zum Leben und zur Vermehrung brauchen. Auch zu viel, v.a. Zucker, egal ob Fruchtzucker oder Traubenzucker, aber auch zu viel Eiweiß werden von potenziell unerwünschten Mitbewohnern bevorzugt. Nehmen wir zu viel davon zu uns, kann dies nicht aus dem Darm aufgenommen werden und endet im Dickdarm, wo es Probleme macht.
- Häufige Antibiotikatherapie ohne begleitende oder zumindest nachfolgende Darmsanierung in Form von vermehrungsfähigen Mikroorganismen. Aber nicht nur therapeutisch eingesetzte Antibiotika spielen eine Rolle. Antibiotika belastetes Fleisch und vor allem rohe Samen (Achtung: Müsli!) enthalten Substanzen die mit ein Faktor sein können.
- Toxinbelastung wie z.B. Schwermetalle, Alkohol, Tabak, vor allem bei Missbrauch.
- Ungenügende Exposition, v.a. von Kindern, die nicht im Freien sein dürfen, bzw. nicht mit anderen Kindern und Erwachsenen zusammen kommen.
- Schlechte Karten: Viele Kinder sind leider bereits von Geburt an benachteiligt was ihr Mikrobiom angeht. Dazu gehören Frühgeburten, Kaiserschnitt-Geborene, nicht Gestillte, frühe Antibiotikabehandlungen, aber auch jene Kinder, deren Mutter bereits an nicht optimaler Besiedlung litt, während des letzten Trimenons der Schwangerschaft.
- Anschließende Fehlbesiedlung (=Dysbiose): Unser Mikrobiom hat einen Optimalbereich, also eine gewisse Anzahl von unterschiedlichen, positiven Bakterien erhaltet unsere Gesundheit, eine Fehlbesiedlung mit anderen Keimen kann uns krank machen oder Krankheiten verschlimmern. Wenn durch die oben genannten Umstände unser Mikrobiom geschwächt wird, werden freie Plätze von anderen Bakterien besetzt.
Vor allem gewisse Mythen wie “die Besiedlung des Kindes fängt bei der Geburt an” sind schlichtweg falsch und deshalb widerlegt worden. Wer also einen Kinderwunsch hegt, möchte möglichst Gewissheit haben und sein Mikrobiom analysieren lassen, um so sein Kind optimale Karten mit auf den Weg zu geben. Denn seit einiger Zeit wissen wir, dass das Immunsystem einer Mutter im letzten Trimenon der Schwangerschaft beginnt das Kind zu “beladen” und zwar mit dem, was es zur Verfügung hat. Fehlen also gewisse gewünschte Bakterien im Mikrobiom der Mutter, kann es auch nicht an den Nachwuchs weitergegeben werden.
Viele dieser Ursachen sind vermeidbar und wirken absolut trivial, wenn man sich darüber den Kopf zerbricht. Nicht trivial sind jedoch die Folgen, welche entstehen können, wenn die Störung nicht behoben wird.
…und Folgen
Wie passiert es dann überhaupt, dass unser Mikrobiom nicht das Wünschenswerte ist? Essen wir falsch oder zuviel von manchen Lebensmitteln, so steigt der pH-Wert im Dickdarm bis ins Basische, ein Bereich, in dem sich unsere guten Bakterien ganz und gar nicht wohl fühlen, diese sind nämlich Säurebildner und bevorzugen einen sauren pH-Wert.
Es kommt zur opportunistischen Vermehrung oder Besiedlung von Fäulnisbakterien, häufig Clostridien, welche sich fortan selbst optimale Bedingungen schaffen möchten. Ein Teufelskreis beginnt. Aber auch Antibiotikatherapien, die nicht von Mikroorganismen als Co-Therapie begleitet werden, können Löcher in der mikrobiellen Besiedlung unseres Darms hinterlassen, welche von Opportunisten gern als Wohnraum genützt werden.
Was passiert nun, wenn unser Mikrobiom nicht das Gewünschte ist? Die häufigsten Ursachen sind wohl jedem Menschen, der zu viel gegessen hat, bekannt. Völlegefühl, Übelkeit, Blähungen sind häufig normal, aber nur wenn es einmal in der Zeit vorkommt. Neigt also jemand dazu, beim Buffet immer wieder über die Stränge zu schlagen, so sind auch die Folgen nicht mehr normal. Ignoriert man Bauchschmerz, Blähung und Co. nach bestimmten Lebensmitteln über langen Zeitraum, können die Folgen gravierend sein.
Störungen bei Mikrobiom-Verlust
Geht uns unser gutes Mikrobiom verloren, so können eine Vielzahl an Symptomen auftreten:
- Migräne aufgrund von Serotoninmangel, durch eine Verstärkung oder Entstehung einer Histaminintoleranz, oder bei anderen Nahrungsmittelintoleranzen und -allergien.
- Depression kann entstehen, bzw. begünstigt werden durch den Verlust von Serotonin bildenden Bakterien unseres Mikrobioms.
- Schlafstörungen können durch einen Mangel an Melatonin entstehen, welches aus Serotonin hergestellt wird. Fällt Serotonin ab, neigen wir also nicht nur zur Depression.
- Herz-Kreislauf-Risiko steigt v.a. bei einem Mangel an Ballaststoffen in der Diät.
- Abfall der Immunleistung, da der Darm nicht nur versucht sich unerwünschter Gäste anzunehmen, sondern auch durch den Ausnahmezustand nicht mehr in der Lage ist, für uns wichtige Stoffe aus der Nahrung aufzunehmen, z.B. Zink, Vitamin D, Selen, Kupfer, etc.
- Allergien und Intoleranzen: Wir wissen seit geraumer Zeit, dass der Darm bei Dysbiosen oder Leaky-Gut (=engl. für “durchlässiger Darm”) der Entstehungsort für eine Vielzahl an Allergien ist, seien es Nahrungsmittelallergien, Pollen- oder Kreuzallergien. Ebenso können durch Fehlbesiedlung unseres Darms Nahrungsmittelintoleranzen entstehen, bzw. sich verschlimmern.
- Selbst Atemwegsprobleme, von wiederkehrenden Nasen- und Nebenhöhlenentzündungen bis hin zu Asthma können durch eine langfristige Dysbiose auftreten.
- Entzündliche Prozesse im Allgemeinen werden durch Probleme in unserem Mikrobiom begünstigt. So kann durch Dysbiosen der pH-Wert im Bindegewebe beeinflusst werden, womit entzündliche Erkrankungen wie Rheuma begünstigt werden. Auch die Leber kann durch Bildung von Fäulnisstoffen im Darm beeinflusst und gestresst werden, was wiederum Entzündung, mangelnde Immunabwehr und sogar Übergewicht negativ beeinflusst. Dazu kommen noch eine Vielzahl unspezifischer Symptome wie z.B. nicht-rheumatische Gelenkschmerzen, Abgeschlagenheit, Stress, Reizbarkeit, schlechte Verdauungsleistung bis hin zum Reizdarm.
- Hautprobleme können dadurch entstehen, dass unsere Entgiftungsmaschinerie gestört ist und unser Körper beginnt, Giftstoffe über Schweiß und Haut abzuleiten. Ist unser Darm z.B. durch bestimmte Fäulnisbakterien überwuchert, so entstehen wiederum Fäulnisstoffe, welche die Leber belasten und somit unsere eigentliche Entgiftung lahmlegen.
- Manche Stämme an Fäulnisbakterien sind potenziell toxinbildend und können auch krebserregende Stoffe ausscheiden, wodurch die Entstehung von Darmkrebs über lange Zeit begünstigt werden kann. In einigen Fällen sind z.B. Clostridium difficile sogar lebensbedrohlich.
Es lässt sich also gut erkennen, dass manchmal Bauchschmerzen nicht nur Bauchschmerzen sind, sonder sich dahinter evtl. sogar eine gröbere Problematik verbirgt. Aber was tun, wenn man letztlich glaubt, dass etwas mit dem eigenen Mikrobiom im Argen liegt?
Mikrobiom – Abhilfe bei Problemen
Leidet man unter Problemen bei denen man davon ausgehen muss, dass der Darm zumindest beteiligt ist, oder evtl. sogar Schauplatz ist, sollte man auf jeden Fall Hilfe suchen. Ganzheitsmedizinische Abklärung kann durch eine Stuhlanalyse erfolgen die je nach Anforderung des Arztes sehr umfangreich ausfallen kann um ein möglichst präzises Bild zu zeichnen. Häufig jedoch sieht man selbst leichte Dysbiosen bereits mit Basis-Test, wodurch auch nur geringe Kosten für den Patienten anfallen. Von der Selbstbehandlung ist massiv abzuraten, da nur bei einer guten Anamnese und Diagnostik auch richtig behandelt werden kann was wiederum einen erfahrenen Therapeuten oder Arzt verlangt.
Denn es bringt letztlich nichts, wenn man fleißig Mikroorganismen zu sich nimmt, aber z.B. der Säure-Basen-Haushalt des Darms so im Argen liegt, dass diese gar nicht siedeln können. Hier gibt man nur Geld aus und verliert unter Umständen sogar Zeit, da das eigentliche Problem nicht behandelt wird.
Sinnvoll ist natürlich immer auf die Ernährung zu achten, also ausreichend Ballaststoffe zu sich zu nehmen und auf große Zucker-, Stärke- und Eiweißmengen zu verzichten, Abwechslung und Verhältnis sind hier wichtig. Erfolgt allerdings eine Ernährungsumstellung so sollte dies dennoch langsam und kontinuierlich erfolgen, denn wenn man zehn Jahre seines Lebens ein Gemüsemuffel war und schlagartig auf Rohkost umstellt, wird man wohl Probleme bekommen.